Nelson Müller: Botschafter für Schätze aus der Speisekammer
Essen (dpa) - Pferdefleisch in Rinderhack, Eier mit falschem Etikett, Gift im Tierfutter: Wer sein Essen nicht richtig wertschätzt, muss auch mit solchen Skandalen rechnen, findet Sternekoch Nelson Müller.
Ja, auch Sternekoch Nelson Müller hat sich schon einmal eine Tiefkühl-Lasagne in den Ofen geschoben, gesteht er. Doch das war in einer anderen Zeit. In einer Epoche, wo im stressigen Alltag eines Koch-Azubis kein Raum war, die Dinge zu hinterfragen. Für Nelson Müller haben die Berichte über Betrug mit Pferdefleisch im angeblichen Rinderhack einmal mehr klar gemacht: Qualität muss ihren Preis haben - und damit meint er nicht unerschwinglichen Kaviar, sondern die Selbstverständlichkeiten im Verbraucher-Kühlschrank.
„Einen Liter Milch in der Hand zu halten, das ist eine Art Gold“, sagt er, und seine Augen blitzen, als denke er an einen glücklichen Moment mit Freunden. „Es ist das Produkt eines Lebewesens, wir können damit so unglaublich viel anstellen, es ist ein vollwertiges Lebensmittel“, schwärmt der Sternekoch. Mit ruhiger Stimme und einer zurückgenommenen Freundlichkeit spricht Müller beim Treffen in seiner Kochschule über das, was ihn traurig stimmt: „Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, warum so viele Lebensmittel so günstig sind.“
So sei er gar nicht verwundert gewesen zu hören, dass Kriminelle beim Fleisch panschen, um dem Preisdruck standzuhalten: „Mir ist schon lange klar: Irgendetwas läuft kräftig falsch in der Lebensmittelindustrie“, und das liegt aus Sicht Müllers zu allererst am Ess- und Kaufverhalten vieler Menschen. „Wertschätzung für Lebensmittel ist in unserer Kultur verloren gegangen, leider.“
Nicht nur weil es seine Leidenschaft ist und ihm ein gutes Auskommen beschert, rührt Müller in so vielen Kochprojekten mit. Er will auch Botschafter für eben diese Wertschätzung sein: Er gibt Kochkurse, in denen er mit den Teilnehmern in den Großhandel fährt und grundlegendes Kochhandwerk vermittelt. So oft es geht, arbeitet er noch in seinem Restaurant mit, entwickelt dort kulinarische Schätze, die ihm 2011 einen Michelin-Stern einbrachten.
Mit seinen Fernseh-Auftritten gehört Müller längst zur oberen Riege der löffelschwingenden Bildschirmgesichter. Zuletzt testete für das ZDF erst Billig-Bio-Lebensmittel und dann No-Name-Produkte. In Zeiten verunsicherter Verbraucher wurde die jüngste Sendung prompt zum Quotenerfolg mit 4,41 Millionen Zuschauern. Ihm selbst gefällt das erfolgreiche Format: „Auch wenn wir die Zusammenhänge nicht bis in alle Tiefe behandeln können, wir regen doch dazu an, über die Dinge nachzudenken.“
Schließlich ist die Liebe zum Essen auch Erziehungssache. Für Nelson Müller gilt das allemal: Der gebürtige Ghanaer, der mit vier Jahren nach Deutschland kam, hat noch vage Erinnerungen an lange Schlangen vor einer Brothütte in seinem Herkunftsland, weil es nicht immer alles zu kaufen gab. Zum Kochen kam Nelson Müller über seine Pflegefamilie, bei der er aufwuchs und die ihm seinen Nachnamen gab.
Im Hause Müller gehörten gemeinsame Mahlzeiten genauso dazu, wie das Gärtnern im eigenen Garten. Dort lernte Nelson als kleiner Junge schon den Unterschied zwischen einer mühsam gehegten und gepflegten Gartentomate und einem Supermarktprodukt kennen. „Genauso wie man Werbespots gegen Volkskrankheiten macht, muss man auch staatlich fördern, dass Kinder wieder den Bezug zu Lebensmitteln bekommen“, findet der Koch.
Für sein Restaurant „Schote“ in Essen kann er auf die Jagd nach den geschmackvollsten Produkten vertrauenswürdiger Lieferanten gehen. Müller weiß aber, dass die Welt des Lebensmittelmarktes ein komplizierter Dschungel ist, in dem Bio nicht zwangsläufig besser ist als konventionelle Produkte. In dieser Welt sind Lieferketten oft schwer nachvollziehbar. Und Verbraucher müssen vom Essen leben und nicht, so wie er, für das Essen.
Der Koch weiß auch, dass nicht ganz Deutschland plötzlich Feinschmeckergaumen bekommt. „Aber solange vielen Menschen ein fetter Flatscreen-Fernseher wichtiger ist als gutes Essen auf dem Tisch, wird es wieder Lebensmittelskandale geben“, sagt Müller.