Pole Dance: Stangentanz als Fitnesstraining
Tübingen (dpa) - Er gilt als sexy, anrüchig und war lange Zeit nur in Strip-Clubs vertreten: der Stangentanz. Das hat sich geändert. Etabliert in US-Fitnessclubs, wird Pole Dance auch in Deutschland beliebter.
Sogar Männer legen mittlerweile an der Stange Hand an.
Er scheint sich im Kurs geirrt zu haben: Hinter Leiterin Julia Wahl, die in der Tanzschule „Polemotions“ in Tübingen ihre Beine geschmeidig zum Spagat grätscht. Neben der 24-jährigen Kristina Abbaci, die gebückt ihre Waden knetet und bei den Aufwärmübungen über „übelsten Muskelkater“ schimpft. Oder eine Gymnastikmatte weiter, wo das ehemalige Funkenmariechen Ariane Streißenberger mit der pinkfarbenen Haarpracht damit beschäftigt ist, die blauen Flecken vom letzten Training aufzuspüren. Mitten drin schwitzt Peter Schmand beim neuen Trendsport, dem Pole Dance.
Der 53-jährige Elektroingenieur spielt Klavier, fliegt beim Tango übers Parkett und betreibt seit kurzem ein für Männer eher ungewöhnliches Hobby: Er tanzt an der Stange. „Im Schulsport hatte ich beim Turnen immer eine Eins, jetzt bin ich ein Schreibtischhengst geworden“, sagt Schmand. Um Schultern, Brust, Rücken und Arme zu trainieren, besucht er wöchentlich Wahls Trainingsraum - der eigentlich nichts anderes ist, als ein umfunktioniertes Wohnzimmer mit zwei Alu-Stangen in der Mitte.
Pole Dance ist eine schweißtreibende Kreuzung aus Kraftsport, Akrobatik, Turnen und Tanzen. Seit mehreren Jahren in Australien oder Großbritannien beliebt, ist der Fitnesstrend nun nach Deutschland übergeschwappt. Die Zähne zusammenbeißen ist angesagt beim Klettern, Sitzen und Drehen an der Stange, bei Figuren, die „Back knee hook“ heißen und manchem Neuling die Beine verknoten.
Links nach innen, rechtes Bein ausstrecken, in die Kniekehle knicken und um die Stange schwingen, all das in einer fließenden Bewegung - so lautet eine der Anweisungen. „Manche wollen möglichst viele Tricks können, manche sehen es als Fitnesstraining oder wollen richtig an der Stange tanzen können“, sagt Lehrerin Wahl.
An diesem Tag versucht sich Schmand als Erster. „Einmal herum komm ich schon“. Sagt's, spannt die Muskeln an, packt zu und hievt die Beine hoch. Die Bizeps zittern, ein paar Strähnen kleben an der Stirn und unter dem schwarzen T-Shirt blitzt ein Männerbauch hervor. Der 53-Jährige verharrt zwei Sekunden in Position, dann saust er plötzlich wie an einer Feuerwehrstange das Gerät hinunter und plumpst auf den Boden. „Hier wird's Hornhaut geben“, sagt er, klopft sich dabei auf die Schenkel, während sich Streißenberger vor ihrem Versuch schon mal den Schweiß an der Hose abwischt.
„Man braucht Muskeln, ein gutes Körpergefühl und Geduld, denn die Haut muss sich erst einmal daran gewöhnen. Aber ein erstes Erfolgsgefühl gibt's schnell.“ Noch fristet der Stangentanz in Deutschland ein Nischendasein. Inzwischen taucht die Sportart dem Deutschen Pole Sport Verband (DPSV) zufolge aber immer häufiger in den Programmen von Fitnessstudios auf. Schätzungsweise zwischen 5000 und 6000 Pole Dancer halten sich demnach bundesweit fit, fünf Prozent von ihnen sind Männer. Seit 2005 kämpfen demnach sogar Akrobaten um einen Weltmeister-Titel.
Pole Dance ist aus der akrobatischen Form des „Chinese Pole“ und den Bewegungen von Strip-Club-Tänzerinnen entstanden, erläutert Wahl. Männer mit ihrem Mehr an Muskeln können als „Human Flag“, also in Form einer menschlichen Flagge, ihren Körper in die Waagerechte bringen und sich nur mit den Armen an der Stange festhalten.
Lange hatte Pole Dance mit einem anrüchigen Ruf zu kämpfen. Fiel vor wenigen Jahren der Begriff, sei bei Älteren sofort das Bild einer Striptease-Tänzerin da gewesen, berichtet Pole-Dance-Lehrerin Ariane Matthes aus Stuttgart. „Man muss sich heute nicht mehr rechtfertigen, aber erklären, dass der Ansporn ein sportlicher ist“, fügt sie hinzu.