Psychosomatik-Experte: Job und Familie belastet Frauen
Tübingen (dpa) - Berufstätige Frauen sind öfter krank als ihre Männer. Das geht aus einem Gesundheitsreport hervor, den die Krankenkasse DAK vorgestellt hat. Auf 100 berufstätige Frauen in Baden-Württemberg kamen demnach im vergangenen Jahr durchschnittlich 120 Krankschreibungen.
Bei 100 Männern waren es 107 Ausfälle aufs Jahr verteilt, ergab die Studie. Wenn es Frauen schlecht geht, holen sie sich schneller Hilfe, sagt der Experte für Psychotherapie, Stephan Zipfel, von der Universitätsklinik Tübingen. Auch deshalb seien sie öfter krankgeschrieben als Männer.
Herr Zipfel, warum gehen Männer und Frauen unterschiedlich mit dem Kranksein um?
Stephan Zipfel: Aus der Perspektive des Arztes weiß ich: Frauen schildern nicht nur Symptome, sondern beschreiben auch Zusammenhänge - den Druck auf der Arbeit, die Situation in der Familie. Das ermöglicht dem Arzt, darauf besser zu reagieren und die Patientin gegebenenfalls krankzuschreiben. Häufig haben Männer schon ein Problem damit, zum Arzt zu gehen, das fängt bei der Vorsorge an. Zu schildern, in welchem Zusammenhang Symptome auftreten, fällt ihnen besonders schwer.
Es heißt aber doch, Männer jammerten gerne, sie gelten als wehleidig. Ist das nur ein Klischee?
Zipfel: Dass Männer jammern oder leiden, stimmt einerseits. Sie wollen sich von ihrer Familie häufig gerne betütteln lassen. Im Berufsleben sind Männer aber eher in Führungspositionen und spüren Druck im Sinne von: Ich darf nicht fehlen. Sie kämpfen an der Arbeitsfront und zuhause geht dann nichts mehr.
Bei psychischen Erkrankungen liegen Frauen vor den Männern - sind sie tatsächlich anfälliger für psychische Krankheiten?
Zipfel: Bei Frauen sind nicht nur die psychischen Erkrankungen häufiger, sie nehmen die Empfehlung eines Arztes für Psychotherapie auch eher an als Männer. In Bezug auf die Arbeitswelt ist die Herausforderung an die moderne Frau mit Arbeit und Familie gestiegen, sie muss beides erfolgreich organisieren und meistern. Das übt großen Druck aus. Frauen haben außerdem häufiger Gewalterfahrungen gemacht, was traumatische Auswirkungen haben kann. Das ist nicht sehr häufig, aber manche Frauen tragen daran ein Leben lang.
Zur Person: Stephan Zipfel, Jahrgang 1962, ist seit 2003 Ärztlicher Direktor für den Fachbereich Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsklinik Tübingen.