Runter vom Sofa - Bei Rheuma tut Sport Körper und Geist gut
Bonn (dpa/tmn) - Bewegung hilft: Rheuma-Patienten, die regelmäßig Sport machen, haben weniger Schmerzen als diejenigen, die sich körperlich nur schonen. Darauf macht die Kampagne „Aktiv gegen Rheumaschmerz“ aufmerksam.
Alles fing an mit einem dicken Fuß auf dem Handballplatz. „Ich konnte plötzlich nicht mehr auftreten und bekam den Schuh fast nicht vom Fuß, das dauerte so einige Stunden“, erinnert sich Christel Kalesse an ihren ersten Rheumaschub. Einige Zeit darauf traf es den anderen Fuß, dann die Hände. Der Arzt stellte fest: chronische Polyarthritis, die inzwischen veraltete Bezeichnung für Rheumatoide Arthritis. Die Diagnose ist 50 Jahre her, das Rheuma wurde ein dauerhafter Begleiter der inzwischen 65-Jährigen.
Nach und nach zerstörte die Entzündung die Gelenke im ganzen Körper, mehrfach bekam sie künstliche Knie- und Hüftgelenke. „Ich war sehr sportlich, das war natürlich hart für mich“, erzählt Kalesse, die im Vorstand der Deutschen Rheuma-Liga sitzt. Die Organisation ruft in ihrer Kampagne „Aktiv gegen Rheumaschmerz“ zum diesjährigen Welt-Rheuma-Tag (12. Oktober) Patienten und Gesunde auf, sich mehr zu bewegen. „In Bewegung zu bleiben, hat mir all die Jahre geholfen, und ich habe die Operationen auf mich genommen, damit ich mich weiter bewegen und ein gutes Leben haben kann“, sagt Kalesse.
„Gerade Patienten mit stark entzündlichem Rheuma und dicken und steifen Gelenken haben wir früher, also vor Jahrzehnten, eher nicht bewegt und die Gelenke geschont“, sagt die Rheumatologin und Rheuma-Liga-Präsidentin Prof. Erika Gromnica-Ihle. „Wir hatten noch nicht so gute Medikamente in der Hand.“ Kalesse berichtet, dass die ersten Jahre ihrer Erkrankung die schlimmsten waren, weil die Entzündung nicht zu stoppen war. „Ich kam vor Schmerzen teils nicht mehr aus dem Bett, jede Berührung tat weh.“
„Heute haben wir bessere Medikamente, dadurch haben die Patienten die Möglichkeit, nach einem akuten Schub wieder in die Gänge zu kommen“, sagt Gromnica-Ihle. „Mein Motto ist: 'runter vom Sofa und so viel Bewegung, wie der jeweilige Krankheitszustand erlaubt'.“ Wichtig sei, die Kraft der Muskeln um die Gelenke herum zu erhalten oder zu stärken. Dadurch würden die Gelenke stabiler und Fehlstellungen möglicherweise vermieden. Viele der Patienten neigten zusätzlich zu Knochenschwund. Dies liege teils an der entzündlichen Erkrankung selbst, aber auch an der Einnahme von Kortison, zusätzlich bekämen viele der Patienten zu wenig Sonne ab durch ihre Immobilität. Dadurch fehle es ihnen an Vitamin D, das durch UV-Bestrahlung der Haut im Körper gebildet wird. Der Stoff sei aber wichtig für den Knochenaufbau. Bewegung an der frischen Luft helfe in diesem Fall.
Hinzu kommt: „Wenn die Gelenke abgeschwollen sind, haben viele Patienten dennoch Schmerzen und fühlen sich abgeschlagen und müde, sagt die Rheumatologin. Inzwischen sei aber bekannt, dass regelmäßige Bewegung diese Symptome bessert. Die Aktivität hängt davon ab, welche Gelenke wie stark betroffen sind. „Es soll ja nicht jeder gleich in die Muckibude“, bremst sie. Für die einen sei ein Spaziergang richtig, für andere gezieltes Muskeltraining mit geschulten Physiotherapeuten. Stark betroffene Patienten könnten sich im Wasser bewegen.
„Sportlich aktive Rheuma-Patienten berichten häufiger über eine bessere Lebensqualität und ein gutes psychisches Wohlbefinden“, ergänzt Prof. Wilfried Mau, Rheumatologe an der Universität Halle-Wittenberg. Allerdings sei ein inaktiver Lebensstil bei Rheumapatienten verbreitet: So treiben etwa 40 Prozent gar keinen Sport. Zwar bieten Vereine und Selbsthilfegruppen wie die Deutsche Rheuma-Liga Funktionstraining und Rehabilitationssport-Gruppen an. Die Krankenkassen übernähmen aber immer seltener die Kosten einer Bewegungstherapie, beklagt der Wissenschaftler. „Rheumapatienten mit Gelenkschmerzen sind zudem oft verunsichert, wie viel und vor allem welcher Sport geeignet ist.“ Laut Gromnica-Ihle können Ärzte aber auch außerhalb ihres Budgets Bewegungsprogramme für Rheumapatienten auf speziellen Formularen anordnen.
Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) in Berlin empfiehlt, das Sportprogramm an die jeweilige Krankheitssituation anzupassen. „Ist zum Beispiel nur die Hand betroffen, empfehle ich, Fußball zu spielen, aber möglichst nicht Basketball“, sagt DGRh-Generalsekretär Prof. Ekkehard Genth. Sind hingegen viele Gelenke entzündet, biete sich eine Bewegungstherapie in warmem Wasser an. Allgemein seien Sportarten mit langsamen Bewegungsabläufen - wie etwa Nordic Walking - geeigneter. Die Trainingseinheiten sollten häufig und dafür kurz gewählt werden.
Für Christel Kalesse bedeutet Aktivität aber nicht nur zweimal in der Woche Gymnastik. Auf Fernreisen nach China und Australien hatte sie beispielsweise immer ihre Nordic-Walking-Stöcke dabei. Es gehe darum, allgemein in Gang zu bleiben. Manchmal sei man deprimiert. „Mir hat Bewegung dann immer geholfen, wieder aus dem 'Loch zu krabbeln', und ich habe das Selbstbewusstsein dadurch behalten.“