Schwacher Beckenboden: Warum Training nötig ist

Herdecke (dpa/tmn) - Es passiert plötzlich und ungewollt: Beim Husten, Niesen, ruckartigen Bewegungen oder schwerem Tragen macht die Blase schlapp. Fachleute schätzen, dass in Deutschland rund acht Millionen Frauen unter den Folgen eines schwachen Beckenbodens leiden.

Die Muskeln an Bauch, Rücken oder Beinen sind jedem ein Begriff. Bei dem Stichwort Beckenboden jedoch kommen die meisten ins Stocken. Die wenigsten Laien können erklären, was es mit dieser Muskelgruppe im unteren Becken auf sich hat - und warum Frauen damit öfter Probleme haben als Männer.

„Der Beckenboden ist ein vielschichtiges und kompliziertes Geflecht, das die Harnröhre, die Scheide und den Enddarm ummantelt, trägt und stärkt“, erklärt Andrea Merfeld, Beckenbodentherapeutin aus Herdecke in Nordrhein-Westfalen. Die Beckenbodenmuskeln sind in drei Schichten angeordnet, die den gesamten Beckenausgang wirksam, aber flexibel verschließen. „Sie stabilisieren Organlage, Bauch und Rücken, geben Kraft aus der Mitte.“ Wird der Beckenboden zu sehr beansprucht, wird er geschwächt. „Das passiert zum Beispiel durch Geburten, aber auch Übergewicht oder schweres Heben.“

Die Überdehnung und Überlastung der stabilisierenden Muskelschichten im unteren Becken kann dann zu einer Blasenschwäche, aber auch zu beständiger Inkontinenz oder Stuhlverlust führen. „In schweren Fällen kann es zu einer Senkung der Organe, zum Beispiel der Gebärmutter oder der Harnblase, kommen“, sagt Prof. Elisabeth Merkle, niedergelassene Gynäkologin in Bad Reichenhall und Sprecherin der Sektion Frauengesundheit im Deutschen Grünen Kreuz.

Den Anfang macht die sogenannte Stressinkontinenz in der Regel nach der Geburt des ersten Kindes. Bei Frauen hat der Beckenboden mittig eine kleine Öffnung. „Diese wird beim Durchtritt des kindlichen Köpfchens während der Geburt stark geweitet“, erklärt die in Wettin tätige Gynäkologin Dörte Meisel, Vorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte in Sachsen-Anhalt.

Eine Geburt ist wohl die stärkste Belastungsprobe für den weiblichen Beckenboden: „Man kann die Beanspruchung und Verletzung der Muskulatur durch eine Geburt im Ultraschall sehen“, sagt Meisel. Überdehnt und schlaff, muss sich der Beckenboden nach Schwangerschaft und Geburt langsam wieder regenerieren. Meisel empfiehlt daher, schon im Wochenbett mit stärkenden Übungen zu beginnen. „Und sechs bis acht Wochen nach der Geburt sollte ein Rückbildungskurs besucht werden.“

Unter Anleitung einer Hebamme lernen die Mütter, wie man die Beckenbodenpartie anspannt und bewusst trainiert. „Doch leider gelingt genau das nicht immer“, sagt Andrea Merfeld. „Viele Frauen sind mit den Übungen überfordert, weil sie nicht abschätzen können, ob das, was sie da gerade anspannen oder trainieren, überhaupt der Beckenboden ist.“ Wenn man erstmal raus hat, welche Muskeln gemeint sind, sei das Training aber leicht und sehr effektiv. Doch nicht nur frischgebackene Mütter sollten sich um die Stärkung ihres Beckenbodens bemühen: Merkle empfiehlt dieses Training allen Frauen, auch in und nach den Wechseljahren.

Neben Training oder Physiotherapie können hormonhaltige Medikamente lokal helfen, die Muskulatur des Beckenbodens wieder elastischer zu machen. „Bei Stressinkontinenz wirken sogenannte Anticholinergika entlastend auf die Blase“, sagt Meisel. Auch Methoden aus dem Biofeedback, Entspannungstechniken wie Tai Chi, Yoga oder Pilates und gezieltes Blasentraining lindern Beschwerden. In schweren Fällen, wenn zum Beispiel bereits eine Blasen- oder Gebärmuttersenkung eingetreten ist, ist eine Operation meist unausweichlich.