Von Bier bis Zucker: Kartelle, wohin man blickt
Bonn (dpa) - Das Bundeskartellamt verhängt in diesem Jahr Bußgelder in Rekordhöhe gegen Lebensmittelproduzenten. Nach den Zuckerherstellern und den Bierbrauern traf es jetzt die Wurstindustrie. Was macht die Lebensmittel-Branche so anfällig für verbotene Absprachen?
Bonn (dpa) - Das Bundeskartellamt verhängt in diesem Jahr Bußgelder in Rekordhöhe gegen Lebensmittelproduzenten. Nach den Zuckerherstellern und den Bierbrauern traf es jetzt die Wurstindustrie. Was macht die Lebensmittel-Branche so anfällig für verbotene Absprachen?
Egal ob Wurst, Bier, Zucker, Kaffee oder Tiefkühl-Pizza: Es gibt kaum einen Bereich im Lebensmittelhandel, in dem das Bundeskartellamt in den vergangenen Jahren nicht auf verbotene Preisabsprachen gestoßen ist. Allein in diesem Jahr verhängten die Wettbewerbshüter gegen Bierbrauer, Zuckerhersteller und die Wurstindustrie Geldbußen von fast einer Milliarde Euro. Ein neuer Bußgeldrekord. Doch was macht ausgerechnet den Lebensmittelhandel so anfällig für Kartellverstöße?
Eigentlich malt der deutsche Lebensmittelhandel ein ganz anderes Bild von sich selbst. Immer wieder heißt es in der Branche, der harte Wettbewerb sorge dafür, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland zu den niedrigsten in Europa gehörten. Und tatsächlich beobachtet jeder der vier Handelsriesen Edeka, Rewe, Aldi und Lidl, die zusammen 85 Prozent der Marktanteile auf sich vereinen, argwöhnisch die Preispolitik der anderen.
Doch das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Denn den dadurch ausgelösten Preisdruck geben die Händler an die rund 6000 Konsumgüterhersteller weiter, die ihre Produkte gerne in den Regalen sähen. „Fast überall im Lebensmittelhandel haben wird das gleiche Problem: Eine große Menge austauschbarer Lieferanten steht den großen Lebensmittelhändlern gegenüber und hat deren Einkaufsmacht so gut wie nichts entgegenzusetzen“, beschreibt der Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg das Problem. Der von den Händlern ausgeübte Preisdruck sei enorm. Vielen mittelständischen Herstellern erscheine eine Kartellabsprache da geradezu als Notwehr.
Auch der Kartellrechtsexperte Maxim Klein von der Kölner Kanzlei Oppenhoff & Partner meint: „Es spricht viel dafür, dass es sich um Abwehrkartelle als Reaktion der Hersteller auf die Einkäufer handelt.“ Der Düsseldorfer Kartellrechtler Johann Brück sieht einen weiteren Auslöser in der „unglaublichen Preissensibilität der Verbraucher bei Lebensmitteln“.
Doch Preisdruck hin und Preissensibilität her: Rechtlich akzeptabel sind Kartellabsprachen dennoch nicht. „Das Problem ist: Hartes Verhandeln auf Einkäuferseite ist nicht illegal. Aber Preisabsprachen der Hersteller sind es“, erklärt Kleine. „Man kann denen eigentlich nicht helfen. Es ist tragisch, aber nicht zu ändern.“ Handelsexperte Roeb erwartet, dass das energische Vorgehen des Bundeskartellamts gegen die Kartelle den schon lange anhaltenden Konzentrationsprozess in der Konsumgüterbranche sogar weiter beschleunigt.
Ohnehin waren die Auswirkungen der Kartellabsprachen nach Einschätzung des Düsseldorfer Kartellrechtsexperten Johann Brück eher gering. „Die Kartelle haben unter dem Strich wenig bewirkt. Nach den Preisabsprachen ging der Preis zwar vielleicht erst einmal hoch. Aber der Wettbewerb im Handel ist knochenhart und sorgt immer wieder für Preissenkungen. Und irgendwann ist der schöne Kartellaufschlag dann wieder weg.“
Doch ganz so makellos, wie es auf den ersten Blick scheint, ist auch die Weste der Einzelhandelskonzerne möglicherweise nicht. Das Bundeskartellamt ermittelt zurzeit jedenfalls in einem weiteren Verfahren wegen des Verdachts verbotener Absprachen zwischen Herstellern und Händlern über den Ladenverkaufspreis. „Preispflege“ wurde das in der Branche genannt. Das Verfahren soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.