Recycelte Deko: Alte Schätze richtig präsentieren

Osterby (dpa/tmn) - Schäbig wird schick: Statt neue Möbel zu kaufen, greifen viele zu alten Stücken mit viel Patina. Der Shabby-Schick gilt als die Modeerscheinung in der Einrichtungsbranche. Dekoriert wird mit Flohmarktfunden, Stücken vom Sperrmüll oder Omas Schätzen.

Der Stuhl hat Rost, die Milchkanne Patina. Am Tischbein ist Farbe abgeblättert, auf einer Kommode stapeln sich jahrzehntealte Flaschen. Auf dem Tisch liegen Omas Häckeldeckchen und Plüschkissen auf dem Ohrensessel, von der Decke hängt vielleicht noch ein Strauß getrockneter Rosen: Dieser Einrichtungsstil ist eine Zeitreise. In allen Ecken und Nischen findet man ein altes Möbelstück. Die Schrammen und Kratzer daran stehen für vergessene Geschichten.

Sonja Bannick gräbt diese Geschichten wieder aus und erzählt sie in ihrem Haus. „Der Shabby-Stil steht für die Wiederverwendung und Zweckentfremdung alter Dinge“, erläutert die Buchautorin und Fotojournalistin für Wohnmagazine aus Osterby in Schleswig-Holstein. Das können alte Möbel sein, aber auch kleine Dinge: Omas Broschen werden in einer Schale zur Dekoration und verwitterte Leitern zum Regal.

„Wir versuchen, diese Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten“, erläutert die Einrichtungsexpertin. „Man fragt nicht 'Brauch ich das noch?', sondern 'Wie kann ich es anstreichen, dekorieren oder verwenden?'“

Neu ist dieser Trend aber nicht: „Es gibt den Shabby-Stil schon länger, aber erst jetzt findet er Akzeptanz am Markt“, urteilt die Trendanalystin Gabriela Kaiser aus dem bayerischen Weißdorf. „Man hat sich aber lange gefragt: Kann ich den Stil bei mir zu Hause überhaupt zulassen? Es handelt sich hier nicht um Antiquitäten.“ Es geht vielmehr um teils kaputte, für den Sperrmüll bestimmte Stücke.

„Der Grund, warum vielen dieser Einrichtungsstil zusagt ist: Wir sind auf Spurensuche“, erläutert Kaiser. „Wir sind umgeben von einer reduzierten Welt. Es gibt viel Technik und alles ist steril. Unsere Möbel können dank technischen Fortschritts eine aalglatte Oberfläche haben und brauchen keine Griffe mehr.“

Doch dieser Fortschritt hat Folgen: „Uns fehlt Geborgenheit. Wir suchen nach einer stressfreien Ruheinsel, auf der wir nicht ständig von A nach B hechten und jederzeit erreichbar sein müssen. Und auf dieser Insel des Rückzugs sollte die Welt auch beschaulich und gemütlich sein“, sagt Kaiser.

Genau diese Beschaulichkeit vermittelt der Shabby-Stil. Alte Koffer werden als Couchtisch verwendet und im Badezimmer steht neben dem sterilen Heizkörper ein rostiges, hübsch geschwungenes Regal für Krimskrams.

Solche Sachen hat man selten auf dem Dachboden - und noch seltener sind es genug, um in der gesamten Wohnung den Shabby-Stil umzusetzen. „Gerade die Mädels denken immer, sie müssen das von heute auf morgen umsetzen“, sagt Bannick. Doch sie plädiert dafür, nach und nach zum Sammler und Jäger zu werden: „Sonst geht die eigene Persönlichkeit im Haus flöten.“ Und es gibt noch einen Grund: „Man ist stolz auf Dinge, die man selbst auf dem Flohmarkt ergattert hat.“

Der Kreativität ist hier kaum eine Grenze gesetzt. Die norwegischen Buchautorinnen Ellen Dyrop und Hanna Kristinsdóttir machen etwa aus alten Sherrygläsern Kerzenhalter, aus einem Silbertablett ein Zimmerschild oder mit Magneten eine Pinnwand. Aus alten Stickereien nähen sie Teppiche, aus Topflappen Kissenbezüge.

Kombiniert wird Altes und auf alt Getrimmtes am besten zu topmodernen Möbeln. „Man stellt zwei Welten gegenüber: Am einfachsten ist es, etwas Modernes mit stark reduzierter Farbigkeit und klarem Design zu nehmen, und daneben kommt dann Omas farbiger und plüschiger Ohrensessel“, rät Kaiser.

Oftmals müssen die Funde nachbearbeitet werden, bevor sie zum Hingucker werden, rät Bannick in ihrem Buch „Zeitlos Shabby“. Sie stempelt etwa Stoffe, beklebt eine alte Schneiderpuppe mit Notenblättern und umwickelt Gläser und Flaschen mit Spitzenstoff oder alten Postkarten. Sogar Möbel können nachgearbeitet werden: Ein altes, dunkles Massivholzschränkchen bekommt etwa einen weißen Anstrich, der an Kanten und Rundungen stellenweise mit Schmirgelpapier abgeblättert wird.

Wer dafür keine Zeit hat, kann Reproduktionen mit Gebrauchsspuren kaufen. Der Handel ist aktuell geradezu überflutet davon: „Rund 70 Prozent solcher Möbel sind nur auf alt getrimmt, aber neu“, berichtet Ursula Geismann, Trendanalystin des Verbandes Deutscher Möbelindustrie in Bad Honnef bei Bonn.

Hierbei werden neue Holzmöbel zerkratzt und gebürstet. Regale bekommen dank Chemikalien Patina und Rost, als hätten sie viele Jahre im Freien gestanden. „Das ist alles schon eine komische Sache“, sagt Ursula Geismann zu dem Trend. „Eigentlich will man ja am Auto etwa keinen Rost haben. Aber in die Wohnung holt man sich nun einen Schrank, der rostig ist.“

Service:

Sonja Bannick/Stefanie Rathjens: Zeitlos Shabby, Kreatives Wohnen, Dekorieren und Fertigen im Shabby Style, Lifestyle Busse Seewald im Frechverlag, 24,95 Euro, ISBN-13: 978-3-7724-7305-0

Ellen Dyrop/Hanna Kristinsdóttir: Aus Alt wird Neu. Dekoratives Recycling, Lifestyle Busse Seewald im Frechverlag, 19,95 Euro, ISBN-13: 978-3-512-03331-5