Immobilienflaute auf dem Land Wenn das eigene Haus als Altersvorsorge bröckelt
Berlin (dpa) - Ein Einfamilienhaus für nur 70.000 Euro? Großer Garten, ein See in der Nähe? Gibt es. Wirklich! Man muss nur nach Vöhl in Nordhessen gehen, oder nach Wittmund in Ostfriesland oder Gardelegen in der Altmark.
Wer in Inseraten stöbert, erkennt bald: In Deutschland herrscht nicht überall Immobilien-Boom. Es gibt viele Orte - auf dem Land, in Kleinstädten - da zucken die Leute mit den Schultern, wenn sie Wörter hören wie Wohnungsnot, Mietwucher und Verdrängung. Sie blicken auf ihr Haus und machen sich Sorgen um ihre Altersvorsorge. Experten warnen vor gravierenden Folgen dieser Entwicklung und mahnen die Politik aufzuwachen. Und sie machen Vorschläge.
Zwölf Millionen Deutsche leben in dünn besiedelten ländlichen Kreisen - von Dithmarschen und Vorpommern über das Emsland, die Lüneburger Heide, den Harz und die Lausitz, über den Thüringer Wald und Franken bis in den Bayerischen Wald.
Vielerorts ziehen die Jungen von dort zum Studieren und Arbeiten in die Städte. Daheim schließen Grundschulen, Banken, Supermärkte und Arztpraxen. Schrumpfen - das ist längst nicht mehr nur ein Problem im Osten, sondern auch in Westdeutschland, sagt der Soziologe Rolf Heinze. „In diesen Dörfern erodiert die Mitte der Gesellschaft.“
Und es erodieren Lebenspläne der Älteren, die zurückbleiben, weil sie ihr Haus nicht mehr loswerden, wie Heinze erklärt. „Die Hoffnung war bei vielen: Ich verkaufe mein Haus für 200.000 Euro und kaufe mir eine Wohnung in der nächsten Stadt.“ Das funktioniere gut in Städten wie Münster, aber nicht etwa in Regionen wie dem Südharz.
Im Osten bekämen die Bewohner nach Jahren der Arbeitslosigkeit zudem oft kein Geld von der Bank, um ihr Haus für das Alter umzubauen. Der Bochumer Professor folgert: „In einer ungünstigen Region ist eine Immobilie als Altersvorsorge nicht zu empfehlen.“
Seit Jahren wächst die Kluft auf dem Immobilienmarkt. „Sie haben Märkte, die haben seit 2010 Preissteigerungen von 80 und 90 Prozent und sie haben Märkte, da ist praktisch gar nichts passiert“, bilanziert Franz Eilers, Immobilienexperte von vdp research, eine Einrichtung von Pfandbriefbanken und Volks- und Raiffeisenbanken. Berücksichtige man die steigenden Verbraucherpreise, haben nach seiner Analyse auf dem Land viele Häuser und Wohnungen in den vergangenen Jahren real an Wert verloren.
In München kann ein Bauplatz 100-mal so viel kosten wie in Teilen Ostdeutschlands, wo mancherorts jede zehnte Wohnung leersteht. Wer in Bayerns Hauptstadt eine Wohnung mietet, zahlte nach Daten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung letztes Jahr 16,65 Euro je Quadratmeter - in Wunsiedel im Fichtelgebirge und in Holzminden im Weserbergland waren es 4,50 Euro.
Manche Kleinstadt-Bürgermeister verschärfen nach Expertenmeinung den Preisverfall. „Wir bauen zu viel auf dem Land“, sagt Ralph Henger, Volkswirt am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Mit Bauland zu Dumpingpreisen lieferten sich schrumpfende Gemeinden einen ruinösen Wettbewerb. Jedes dritte Neubaugebiet sei langfristig unwirtschaftlich. Das geplante Baukindergeld werde die Zersiedelung noch verstärken.
Besser sei es, wenn Städte Familien fördern, die in leerstehende Häuser im Ortskern ziehen oder an deren Stelle neu bauen. Einige Gemeinden in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen probierten dies bereits.
Aus Sicht des Instituts könnten Bauplätze auf dem Land auch durch einen Zertifikatehandel beschränkt werden. Vereine und Initiativen, die historische Häuser in Ortskernen retten, sollten durch Bürgerfonds unterstützt werden.
Soziologe Heinze rät den älteren Hausbesitzern auf dem Land auch, mehr an sich selbst zu denken. Noch gehe es der Älteren-Generation finanziell besser als jeder anderen zuvor. Doch die wenigsten nutzen den Spielraum, um ihre schwer verkäuflichen Häuser so zu gestalten, dass sie darin möglichst lange leben können. „Die meisten geben eher dem missratenen Enkel Geld fürs neue Auto, als damit die eigene Wohnung umzubauen.“