Auffangstation für Eichhörnchenbabys in Not
Dinkelsbühl (dpa) - An ein Eichhörnchen erinnert das kleine Findeltier Nele nicht wirklich: Die Augen kann das knapp 50 Gramm leichte Federgewicht noch nicht öffnen, die nackte Haut ist nur von einem hell schimmernden Flaum bedeckt, und die langen Krallen sind noch ganz weich.
In diesem Lebensstadium von wenigen Wochen bräuchte Nele eigentlich dringend ihre Mama zum Überleben. Doch die hat sie nicht mehr. Darum hat Kerstin Kaden das kleine Tier aufgenommen.
„Mich erinnern die Eichhörnchen-Babys immer ein bisschen an Alien-Babys“, sagt sie. Rund 40 Eichhörnchen päppelt die 48-Jährige mit ihrer Tochter Jessica und einem Helfernetzwerk aus Freunden seit 2008 Jahr für Jahr in ihrer eigenen Wohnung im bayerischen Dinkelsbühl auf. Vom Veterinäramt hat Kaden eine Bescheinigung für die Hand-Aufzucht bekommen. Zufällig wohnt auch eine Tierärztin mit im Haus, die in kniffligen Fällen mit Rat und Tat zur Seite steht. Die Kosten für die Pflege trägt Kaden zum großen Teil selbst. Die Eichhörnchen-Auffangstationen werden selten von den Kommunen unterstützt. „Wir sind auf Spenden angewiesen“, sagt sie.
Nele wurde vor wenigen Tagen abgegeben. Ein Spaziergänger hatte einen Kobel - ein Eichhörnchennest - entdeckt, das der Wind vom Baum geweht hatte. Darin lag noch ein Junges, Nele. Die ersten Tage trank das Findelkind schlecht. Mit viel Zuneigung, Wärme und Geduld schafft das Eichhörnchen-Baby mittlerweile einen Milliliter Hundeaufzuchtmilch alle zwei Stunden.
Das bereitet Kaden schlaflose Nächte: Denn auch nachts muss Nele ihre Pipette Welpenmilch bekommen. Also wird der Wecker gestellt: „Das ist wie mit Babys - nur die Windeln kann man weglassen“, sagt die Tierfreundin. Auch das bereits zehnwöchige Eichhörnchen-Kind Hasi will versorgt werden. Durchgefroren, hungrig und müde wurde es in diesem Jahr als erster Findling bei ihr abgegeben - inzwischen ist es gesund und munter, klettert an Kadens Armen hoch und springt über den Tisch. Bald steht die Auswilderung an.
Meist bleiben die Nagetiere bis zu ihrer zwölften Lebenswoche in den Aufzuchtstationen, die deutschlandweit von Tierschutzvereinen, Privatpersonen, Biologen oder Tierheimen betrieben werden. Schon ab der achten Lebenswoche beginnen sie aber damit, sich von den Pflegemamas und -papas zu entfremden. „Sie sind dann aktiver, wollen nicht mehr so viel kuscheln wie zuvor“, erklärt Kaden.
Anfangs tat ihr die schleichende Entfremdung weh. „Inzwischen finde ich es aber schön, sie dann wegspringen zu sehen.“ Eichhörnchen-Experten und Sachbuchautoren sehen die Aufzucht per Hand genau deswegen auch kritisch: Manche Pfleger ließen die Wildtiere nur schwer oder spät ziehen. Für das Überleben in der freien Wildbahn fehlten den Tieren dann teils wertvolle Fähigkeiten.
Kaden versucht, den Eichhörnchen den Übergang in die freie Wildbahn so leicht wie möglich zu machen. Von einem Käfig in der Wohnung kommen die Tierkinder erst in ein Außengehege im Garten, um sich an die neue Umgebung gewöhnen zu können. Wenn die Tür dann offensteht, sind die Findelkinder noch ein paar Wochen in der Umgebung. Sobald sie ihr eigenes Nest gebaut haben, sieht man sie nicht mehr. „Ein Eichhörnchen kam aber mal immer wieder, wenn man es gerufen hat.“
Eines hat Kaden schnell gemerkt: „Von dem putzigen Aussehen der Tierkinder sollte man sich nicht blenden lassen.“ Allzu oft würden Tierkinder erst nach ein paar Wochen in fremder Obhut zu ihr gebracht, weil es den Findern zu viel werde. In einer Aufzuchtstation könnten die Tiere außerdem mit anderen Babys aufwachsen. Das sei wichtig, da Eichhörnchen normal immer mit zwei bis fünf Geschwistern auf die Welt kommen.
Dass die Eichhörnchen in ihren jungen Tagen ihr gegenüber gar nicht scheu sind, erklärt Kaden mit deren Hilfsbedürftigkeit. „Sie kommen nur zum Menschen, wenn sie wirklich Hilfe brauchen“, sagt sie. Dann liefen die Tiere Spaziergängern hinterher oder kletterten an ihnen hoch. Andere Eichhörnchen würden nach Forst- oder Gartenarbeiten von Hunden am Boden entdeckt. Meist haben die Babys keine Mutter mehr. In der großen Hitze im vergangenen Sommer ertranken beispielsweise viele Muttertiere beim Versuch, aus Regentonnen zu trinken. Die Kleinen krabbelten dann zahlreich vor Hunger und Durst aus ihrem Nest.
Im Frühsommer kann Kaden dann noch mal entspannen: Doch nach den ersten Geburten im Frühjahr steht zwischen Juni und August dann mit der zweiten Wurfzeit die nächste Hochphase an.