Grandiose Flut am Mont-Saint-Michel
Mont-Saint-Michel (dpa) - Die Bahnen und Kräfte von Sonne und Mond sorgen derzeit für ein Naturereignis nach dem anderen: Am Tag nach der Sonnenfinsternis strömten die Massen in Nordfrankreich zu dem weltweit bekannten Klosterberg Mont-Saint-Michel, um das Schauspiel einer „Jahrhundert-Tide“ zu bestaunen.
Sie kamen bereits am frühen Samstagmorgen auf ihre Kosten: Die Flut schnitt den hoch aus dem Meerwasser ragenden Felsen ganz vom Festland ab, zeigten TV-Bilder. Stehen Sonne, Mond und Erde in einer Linie, verstärken sich die Gezeiten.
Auch über die Fußgängerbrücke, die das Unesco-Weltkulturerbe in der Normandie mit dem Festland verbindet, schwappte das Wasser also eine ganze Zeit lang hinweg. Dann zog es sich erst einmal wieder zurück.
Das seltene Naturereignis sollte sich am Abend wiederholen, die Tide dann noch etwas höher sein. Doch das Spektakel beeindruckte bereits am Morgen sogar den aus Paris angereisten Außenminister Laurent Fabius. Er ist für den französischen Tourismus zuständig - und der Mont-Saint-Michel ist ein von vielen Millionen besuchtes Juwel des an beliebten Monumenten nicht armen Landes. Auch wenn keine Saison ist, kommen täglich bis zu 5000 Besucher aus aller Welt zu dem Felsen, der pittoresk an der Schnittstelle zwischen Bretagne und Normandie liegt. An diesem Wochenende sollten es allerdings etliche Tausend mehr sein.
„Dieses Tiden-Phänomen erleben wir alle 18 Jahre“, so erklärt der Wissenschaftler Eric Langlois vom Nationalen Hydrographischen Dienst geduldig immer wieder. „Es tritt dann auf, wenn die Sonne und der Mond in einer Linie mit der Erde sind.“ Mit 14,5 Metern sollte der Unterschied zwischen Flut und Ebbe an diesem Samstag höher werden als ein vierstöckiges Gebäude. Am Morgen waren es bereits etwa 14 Meter, doch auch am Sonntag war noch ein spektakulär erhöhter Wasserstand angesagt. Was in Frankreich als „Jahrhundert-Tide“ getauft wurde, ereignet sich indessen bereits wieder im März 2033 und März 2051.
Das Naturschauspiel ist am Mont-Saint-Michel so fantastisch zu beobachten, weil dort die Halbinsel Cotentin am höchsten Punkt der Normandie und die bretonische Küste wie eine Art Trichter für das in den Ärmelkanal strömende Wasser wirkten. Schon zu normalen Zeiten ist der Tidenhub hier ganz deutlich höher als etwa an der Atlantikküste.
Die immense Wasserflut war aber auch an anderen Küstenabschnitten der Bretagne und der Normandie zu beobachten. So in Saint-Malo, das wegen seines historischen, von drei Seiten vom Wasser umspülten Stadtkerns und der beeindruckenden Festungsanlagen ein weiterer Touristenmagnet ist. Vorsichtshalber jetzt mit Sandsäcken gesichert, auch wegen der dort absehbaren höheren Wellen, kennt der Ort an der Smaragd-Küste das Phänomen des riesigen Tidenunterschieds gut. Er nutzt diesen seit langem schon in einem großen Gezeitenkraftwerk für Energiezwecke.
Zurück zum nordfranzösischen Berge der Berge, zu dem bereits am Freitagabend etwa 10 000 Schaulustige für eine hohe Flut gekommen waren: Am Wochenende sollten dann - neben der üblichen Beleuchtung von Felsen und Mauerwerk - nach dem Sonnenuntergang 60 Scheinwerfer entlang der schmalen Brücke die Wassershow noch märchenhafter machen. Wer diese verpasst, der kann den auch sonst ganz erheblichen Tidenhub an dem Felsen mit der Abtei aber auch irgendwann später noch erleben.