Bloß kein Stress! Faultiere bringt nichts aus der Ruhe
Dresden (dpa/tmn) - Sie hängen an ihren langen hakenförmigen Krallen kopfüber von dicken Ästen und schlummern bis zu 20 Stunden am Tag: Faultiere kennen keinen Stress. „Das Dreifingerfaultier hat wirklich einen sehr entspannten Charakter“, bringt es Bryson Voirin auf den Punkt.
Er ist Biologe am Max-Planck-Institut in Radolfzell. Die durchschnittlich einen halben Meter großen und fünf Kilogramm schweren Säugetiere mit den langen Gliedmaßen sind in den Baumkronen des tropischen Regenwalds in Mittelamerika, im Norden Südamerikas und im Amazonasgebiet zu Hause.
Wenn sie sich fortbewegen, dann hängend mit dem Rücken nach unten. Es gibt zwei Gattungen: die Zwei- und die Dreifingerfaultiere. Faultiere haben langes und grobes Fell in Braun- oder Grautönen. „Ihr Kopf ist rund mit einer kurzen Schnauze“, erklärt Wolfgang Ludwig, Zoologischer Leiter des Zoos Dresden. Eine Besonderheit der Verwandten von Ameisenbär und Gürteltier ist der Scheitel ihres Fellkleids: Im Gegensatz zu dem der meisten Säuger liegt er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauch. So kann Regenwasser besser abfließen, wenn die Tiere mit allen vieren am Ast abhängen.
Ihrem Namen machen Faultiere alle Ehre. „Sie sind wenig aktiv, mitunter bewegungslos oder bewegen sich nur langsam“, erklärt Ludwig vom Zoo Dresden. Der Grund für die Trägheit: Faultiere haben für ihre Größe das langsamste Verdauungssystem aller Säugetiere, ihre Stoffwechselrate liegt bei nur 40 Prozent zu vergleichbar großen Tieren.
Weil ihre Nahrung nährstoffarm ist, muss der Körper Energie sparen und bewegt sich darum so langsam, sagt Jochen Reiter, Wissenschaftlicher Leiter des Zoos Duisburg. „Bei Gefahr können sich Faultiere allerdings durchaus schnell hangelnd bewegen.“ Auch im Wasser kommen die Kletterspezialisten gut voran. Ihre Fortbewegung auf dem Boden dagegen ist schwerfällig: Hilflos krabbeln sie dort mit den Unterarmen und Sohlen der Hinterbeine vorwärts.
Müssen sich Faultiere einmal verteidigen, hört ihre Friedlichkeit auf. Zooleiter Reiter erklärt: „Die Tiere können fürchterlich tief beißen.“ Allzu oft kommt das aber nicht vor: „Faultiere werden nur selten aufgeregt oder gestresst“, sagt Voirin. Das liegt auch daran, dass sie kaum Feinde haben. „Sie sind unauffällig gefärbt, hängen zwischen Laub und bewegen sich langsam“, sagt Ludwig. Somit sind sie nur schwer zu entdecken und gehören nicht zum typischen Nahrungsspektrum eines Fleischfressers.
Nur wenn sie die Baumwipfel verlassen, kann es gefährlich werden. Das geschieht zwar selten, aber regelmäßig bei den Toilettengängen. „Die Tiere setzen alle 5 bis 15 Tage Kot ab“, erklärt Ludwig. Dazu klettert das Dreifingerfaultier vom Baum auf den Boden, scharrt eine Mulde und erleichtert sich. In dieser Zeit kann es Raubkatzen, Greifvögeln oder Schlangen zum Opfer fallen.
Für ein zufriedenes Leben brauchen die gemütlichen Tiere nicht viel: „Solange sie ihre Lieblingsbäume um sich haben und ein paar Blätter essen können, sind sie glücklich“, sagt Voirin. Außerdem mögen sie es warm und einsam, ergänzt Zooleiter Ludwig: „Faultiere sind Einzelgänger und vermeiden den Kontakt mit Artgenossen.“
Nur für die Paarung kommen die Faultiere zusammen. „Vor der Paarung verfolgt das Männchen das Weibchen, und es kommt dabei mitunter zu heftigen Abwehrkämpfen“, erklärt Ludwig. Ist der Akt vollzogen, gehen die Tiere wieder getrennte Wege. „Das Männchen entfernt sich und lässt das Weibchen wieder in Ruhe“, sagt Ludwig.
Nach sechs bis elf Monaten Tragzeit kommt ein einzelnes Faultierjunges zur Welt. „Es hält sich selbstständig am Bauch der Mutter fest und liegt dort wie in einer Hängematte“, erläutert Ludwig. Langsam wächst es heran, bevor es nach neun Monaten die gemeinsame Astgabel verlässt. Aus der Heimat der Säugetiere gibt es Berichte, dass Faultiere als zahme Heimtiere gehalten werden, erklärt Ludwig. Aus Deutschland sei ihm das nicht bekannt.
Hier können die Menschen die Tiere lediglich im Zoo antreffen. Auch Melitta Töller von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten warnt: „Faultiere sollten auf gar keinen Fall als exotisches Haustier gehalten werden.“ Max-Planck-Biologe Voirin hat sich intensiv mit Faultieren beschäftigt und ist fasziniert von ihnen. „Wenn ich selbst gestresst bin, überlege ich mir oft, wie ein Faultier jetzt wohl reagieren würde.“