Ausfahrt zur Einkehr - Autobahnkirchen in Deutschland
Kassel (dpa/tmn) - Als Rastplätze für die Seele werden sie gern bezeichnet. Dabei lädt ihr Umfeld meist nicht zum Verweilen ein. Dennoch tankt jährlich rund eine Million Menschen Trost und Kraft in einer der deutschen Autobahnkirchen.
Auf der Autobahn kam das deutsche Wirtschaftswunder in Schwung: bei Geschäftsreisen in den Schwarzwald und ersten Familienreisen an die italienische Adriaküste. Zugleich entstanden aber auch neue Orte der Entschleunigung: 1958 eröffnete an der A 8 zwischen München und Stuttgart die erste deutsche Autobahnkirche. Heute sind sie auch ein beliebtes Ausflugsziel für Liebhaber sakraler Kunst und Architektur.
Die Ikonische: Im Siegerland, am Autohof Wilnsdorf, klaffte lange eine Lücke im Netz der Autobahnkirchen. Das erkannte zuerst das Ehepaar Hanneliese und Hartmut Henning. Sie gründeten einen Förderverein, 2011 folgte der Spatenstich für die Autobahnkirche Siegerland, und seit 2013 dürfen Reisende hier einkehren. Es kommen aber auch Architekturfans: Für den schnörkellosen Bau, dessen Silhouette der grafischen Darstellung von Kirchen auf Autobahnschildern nachempfunden ist, gewann das Architektenbüro einen Preis. Informationen zur Autobahnkirche Siegerland gibt es bei Ute Pohl, Ansprechpartnerin für Besuchergruppen und Führungen, Tel.: 02736/67 16, www.autobahnkirche-siegerland.de.
Die Jüngste: Erst vor kurzem ist die Zahl der deutschen Autobahnkirchen auf 42 gestiegen: Jüngstes Mitglied ist seit dem 22. Juni die Dorfkirche Zeestow am Berliner Ring. Das Gebäude stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. 2011 fiel der Beschluss für einen Umbau zur Autobahnkirche. Heutiges Prunkstück ist der Bilderzyklus „Die Berufenen“, für den der Maler Volker Stelzmann zwölf Obdachlose porträtierte. Das Werk ist eine Reminiszenz an die Jünger Jesu - und ein guter Grund, die A 10 an der Ausfahrt Brieselang oder Spandau für eine Stippvisite zu verlassen. Informationen: Autobahnkirche Zeestow, Wustermarker Straße, Ansprechpartner: Pfarrer B. Schmidt, Tel.: 03322/12 74 31.
Die Quadratische: Von fern wirkt die ökumenische Emmauskapelle in Engen fast wie ein Dampfer auf großer Fahrt, tuckernd durch das Hügelmeer des Konstanzer Lands. Der von einer Betonmauer eingefasste Patio bildet den Rumpf, an den das quadratische Hauptgebäude als Brückendeck anschließt. Vorneweg bildet ein 13 Meter hohes Kreuz den Mastbaum des Kirchenschiffs. Im Innern gibt es eine kleine, bunte Holz-Pieta aus dem 16. Jahrhundert zu sehen. Ansonsten finden Besucher hier, an der A 81 zwischen Stuttgart und Singen, ein Gotteshaus, das dank seiner Schlichtheit Pilgerstätte für Architekturliebhaber geworden ist. Anfragen für Führungen und Gruppengottesdienste: Bernhard Albrecht, Tel.: 07733/71 15, www.autobahnkapelle-hegau.de.
Die Schräge:Gleich einer Startrampe zu höheren Sphären ragt das 45-Grad-Glasdach der Autobahnkirche Medenbach in den Himmel über der A 3 zwischen Köln und Frankfurt: Sonne, Mond, Wolken und Sterne würden so in den Kirchenraum mit einbezogen, hieß es in dem vom Architekten Hans Waechter eingereichten Entwurf. Das blaue Glas ziert eine abstrakte Auferstehungsszene des Künstlers Nikolaus Gerhart. Besucher nehmen auf einfachen Holzquadern mit Rückenlehnen Platz, das Kreuz über dem Altar bildet der Raum zwischen vier Kunststeintafeln. Und in der Raummitte symbolisiert ein ausladender Kerzenständer Jesus als Licht des Lebens (Kontaktformular für Anfragen unter www.autobahnkirche-medenbach.de).
Die Trutzige:Die starken Mauern und kleinen Kirchenfenster der Autobahn- und Gemeindekirche Kavelstorf lassen vermuten, dass sie im 13. Jahrhundert als Wehrkirche und Zufluchtsort errichtet wurde. Im Innern erweist sich das unweit der A 19 zwischen Berlin und Rostock gelegene Gotteshaus als ein Kleinod norddeutscher Sakralbaukunst: Besucher erwarten hoch aufragende Spitzrundbögen, kunstvoll verziert mit Blumenornamenten. Kontaktformular für Anfragen unter www.autobahnkirche-kavelstorf.de.
Die Älteste:Der Augsburger Papierfabrikant Georg Haindl stiftete Deutschland die erste Kirche für Reisende auf der Autobahn. Am 12. Oktober 1958 empfing das Gotteshaus „Maria, Schutz der Reisenden“ erstmals Gläubige auf der A 8 zwischen München und Stuttgart. Erinnern Silhouette und Grundriss noch an typisch-bayerische Dorfkirchen, muten die Klarheit der Fassade und der großzügige Einsatz von Glas sehr modern an. Der Altarbereich ist schlicht - das große Hängekreuz mit Jesusfigur zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Kontaktformular für Anfragen unter www.autobahnkirche.org.