Costa Blanca: Wenn der König in Flammen steht

Abseits vom Rummel Valencias laden die kleinen Orte zu Falla-Stadtfesten ein.

Eine hölzerne Skulptur verbrennt bei den Fallas in Valencia.

Foto: dpa/Kai Foersterling

Düsseldorf. Es sind Donnerschläge, die man im Bauch spürt — Kracher, die das Zwerchfell mitschwingen lassen. Nicht unangenehm, nur unfassbar laut und von enormer Wucht. Wie zehnmal Silvester im selben Moment.

Es sind Schläge, die einem Rhythmus folgen, sogar eine Melodie haben: Lauter wohl dosierte Explosionen von 120-Kilo-Böllern, die die Fensterscheiben der Umgebung so sehr zum Wackeln bringen, dass sie eigentlich bersten müssten.

Es sind Feuerwerkskörper, die jeder für sich unmittelbar nach dem großen Knall als einzelne Rauchsäule zum Himmel aufsteigen. Und dabei riecht es, als ob sich einen Moment lang die Pforte zur Hölle geöffnet hätte: nach Schwefel, nach verbranntem Papier, nach Schießpulver. Ein bisschen macht das Angst, vor allem aber entfaltet es einen seltsamen Sog, eine Neugierde.

Und tatsächlich: Was da auf der Plaza Jaume I. im Zentrum von Dénia an der Costa Blanca an diesem frühlingshaften Abend lange nach Einbruch der Dunkelheit geschieht, ist eine Aneinanderreihung von Explosionen, die als Konzert angekündigt wurde, als Masclèta — und eine Sinfonie in stampfendem Rhythmus geworden ist. Das Vorspiel zum Weltuntergang — oder das Gegenteil davon.

Ein Konzert, das mit Applaus und Gejohle von ein paar tausend Zuschauern endet, die sich anschließend auf die Bars der Altstadt und die Restaurants der Hafenpromenade verteilen oder zwischen Jahrmarktbuden hindurch bummeln und fettiges Churro-Gebäck mit Puderzucker erstehen.

Solche Masclètas gehören untrennbar zu den Fallas, jedes Jahr vom 15. bis zum 19. März, zu dieser Festwoche, die es so nur im Großraum Valencia gibt und die über die knapp 90 Kilometer entfernt gelegene Küstenstadt Dénia und den Binnenort Pego hinaus niemals Einzug in das Brauchtum gefunden hat.

Zurückgehen soll all’ das auf eine Angewohnheit der regionalen Zimmerleute, zum Ende des Winters Kerzengestelle aus ihren Werkstätten in den Straßen zu verbrennen. Es dauerte nicht lang, bis Nachbarn sich daran beteiligten, die Gestelle mit Stoffresten dekorierten, die anwachsenden Scheiterhaufen um Strohpuppen ergänzten und man sich einigte, all das künftig zeitgleich in der Nacht vom 19. auf den 20. März anzuzünden — in der Nacht von San José, dem Schutzheiligen der Zimmerleute.

Daraus geworden ist ein archaisches Feuerfest, und genau das ist es geblieben. Erstmals dokumentiert sind Fallas im 18. Jahrhundert und längst sind aus den Scheiterhaufen von einst haushohe, in monatelanger Arbeit ausstaffierte Großskulpturen aus Pappmaché, aus Holz, Kork, Draht, Styropor und viel Leim geworden. Die größten bis zu zehn Tonnen schwer, die aufwendigsten in Dénia um die 100 000, in Valencia bis zur Wirtschaftskrise sogar 900 000 Euro teuer. Inzwischen kommt man mit der Hälfte aus.

Immer sind die Fallas, ähnlich den Figuren auf rheinischen Karnevalswagen, überzeichnet, ironisch, sarkastisch, spießen Zustände kritisch auf. Mal geht es um die Verschwendungssucht der lokalen Politiker, mal um das Tief der spanischen Fußball-Nationalmannschaft, dann um die Skandale der Königsfamilie oder ganz lokal um das übergroße Ego eines Dorfbürgermeisters.

„Eine solche Figur zu entwerfen ist eigentlich gar keine Arbeit, es ist ein Lebensstil“, philosophiert Rafael Cheli aus Dénia. Künstler wie er oder Pere Baena aus Gandia leben fast ausschließlich davon, Falla-Figuren zu entwerfen und zu bauen. Sie werden von den Gemeinden und lokalen Vereinigungen beauftragt und bezahlt.

Die wiederum finanzieren sich vor allem aus Spenden und den Erlösen selbst organisierter Stadtteilfeste zu allen Jahreszeiten. Wie man Mitglied werden kann? Joan Pons vom größten Falla-Verein in Pego grinst und streckt die Hand aus: „Schlag´ ein und du gehörst dazu.“ So einfach ist das auf dem Land.

Das Fest wurde in Valencia längst ein touristisches Großereignis. In den kleinen Städten und Dörfern entlang der nördlichen Costa Blanca und im Hinterland ist es jedoch noch ganz anders. Dort sind die Fallas authentischer, weil sie Stadtfeste geblieben sind, bei denen die konkurrierenden Vereinigungen der einzelnen Viertel gegeneinander antreten und in der Woche vor dem 19. März ihre Skulpturen gemeinsam mit den Anwohnern auf den Hauptplätzen aufstellen. Begleitet von abendlichen Mascletás, von Festumzügen und Musikkapellen.

Dass dann für Tage kaum noch ein Auto durchkommt und es Staus auf den Umgehungsstraßen gibt, ist allen egal. Wenn gefeiert wird, wird eben gefeiert. Die Böllerkonzerte sind dabei zur Einstimmung für das große Finale gedacht. Denn am Ende sind es die Großskulpturen, die mit Feuerwerkskörpern gespickt, mit Zündschnüren umwickelt, mit Benzin übergossen und schließlich in die Luft gejagt werden.

Wie sich das anfühlt, die ganze Arbeit in Flammen aufgehen zu sehen, all’ die Mühe und all das Geld? „Es ist ein großes Glücksgefühl, die Freude am Feuer. Die Flammen sind die Belohnung“, sagt Joan Pons.

Dabei gelten zwei eiserne Regeln: Die schönste Figur kommt als letzte dran. Sie wird prämiert und zieht als Miniatur nachgebildet ins örtliche Museum ein. Regel Nummer zwei: Gezündelt werden darf erst, wenn die Feuerwehr da ist, die unmittelbare Umgebung der Skulpturen nass gespritzt ist und sogar die Fassaden der Nachbarschaft gerade in den engen Ortszentren sicherheitshalber für ein paar Minuten unter Dauerbeduschung gesetzt sind.

Die Figuren mit den schönen Pappmaché-Kleidern bersten in der Hitze der Flammen erst auseinander, brechen bald darauf krachend in sich zusammen, und dann brennt nur noch das hölzerne Stützkorsett im Inneren der Gestalten, während die Zuschauer jubeln. Die in den vorderen Reihen sehen wie kriegsbemalt aus, weil sie sich immer wieder Rußflocken aus der Stirn gewischt haben.

Aus den Kleidern riesiger Frauenfiguren schießen ebenso wie aus der Krone des Königs Raketen in den Nachthimmel und erleuchten Strände, Orangenhaine und Olivenplantagen der Costa Blanca — zu Ehren von San José, dem Schutzheiligen der Zimmerleute.

Ob Joan Pons davon träumt, Abend und Nacht des 19. März mal in Valencia zu erleben, wo alles so viel größer ist und noch lauter, noch feuriger? „Was soll ich da?“, fragt er zurück. „Hier ist es schöner. Hier gibt es Wein, Churros, Musik. Hier sind meine Freunde. Und hier schmieden wir noch in der Nacht die ersten Pläne für das nächste Jahr.“