Der Gott des Waldes - Bei Neuseelands Kauri-Bäumen

Omapere (dpa/tmn) - Die immergrünen Kauris sind die größten Regenwald-Bäume der Welt und nur in Neuseeland zu finden. Einst bedeckten die Baumriesen große Teile der Nordinsel. Doch nach der massiven Abholzung Anfang des 20. Jahrhunderts existieren nur noch wenige Exemplare.

Langsam geht die Sonne unter — ein dramatisch schönes Schauspiel in Omapere. Der kleine Ort liegt am Südufer des hier in die Tasmansee mündenden Hokianga Harbour, und die letzten Sonnenstrahlen tauchen die hügelige Landschaft in ein faszinierendes Licht. Doch auch nach Einbruch der Dunkelheit gibt es einiges zu entdecken. Eine nächtliche Wanderung zu den Baumriesen im Urwald ist ein einmaliges Erlebnis, hatten Einheimische erzählt. Doch wer geht schon nachts freiwillig in den Wald?

Nach einigen Minuten Fahrt auf dem State Highway 12 stoppt Bill Matthews das Fahrzeug. Der bei Tag von vielen Touristen begangene Pfad zum Tane Mahuta im Waipoua Forest ist jetzt menschenleer und verlassen. Ruhe ist eingekehrt, fast schon unheimlich ist diese Stille. Nur fahles Mondlicht schimmert durch das dichte Blätterdach, hin und wieder hallen Rufe von Vögeln durch die Nacht. Andächtig wandert die kleine Gruppe auf den Holzstegen durch den Wald. Plötzlich unterbricht Bills hohe Stimme die Ruhe. „Ich bete zum Gott der Wälder und erbitte für uns Schutz und Sicherheit“, erklärt er.

„Für uns Maoris haben die Kauri-Bäume eine große spirituelle Bedeutung“, sagt er. „Die Bäume sind für uns die Urväter aller Lebewesen, und wir haben großen Respekt vor der Natur.“ Immer wieder macht Bill auf Schönheiten der Natur aufmerksam. „Jeder kennt den Silberfarn. Das ist schließlich die Nationalpflanze Neuseelands“, sagt er und hebt einige der regennass glänzenden Fächer nach oben. „Von unten schimmern die Zweige nämlich silbern, und das hat ihnen den Namen Silberfarn eingetragen.“

Und dann steht Tane Mahuta vor den Touristen. Der Gott des Waldes, wie er auch genannt wird, ragt 51 Meter hoch in den Himmel. „Tane Mahuta hat einen Durchmesser von 13,8 Metern und ein Volumen von 244 Kubikmetern“, erklärt Bill. „Vermutlich ist er über 2000 Jahre alt, stammt also aus der Zeit, in der Jesus Christus geboren wurde.“

Tane Mahuta war auch schon groß und mächtig, als Captain James Cook 1769 die Nordinsel entdeckte. Dieser ließ damals Teile seines Schiffes mit dem haltbaren und gerade gewachsenen Holz der Kauri-Bäume ausbessern. Später folgten immer mehr Bootsbauer seinem Beispiel. Die Stämme eigneten sich wie keine anderen als Masten für Segelschiffe, wurden aber wegen der feinen Maserung auch gern für die Herstellung von Möbeln verwendet.

Doch nicht nur den Holzfällern fielen die Bäume zum Opfer — die sogenannten Gum Digger waren hinter dem Harz der Nadelbäume her. Vor der Erfindung synthetischer Alternativen wurden die bernsteinähnlichen Brocken vor allem für Farben, Lacke und Linoleum verwendet und waren entsprechend kostbar. Die Maoris dagegen nutzten sie zum Einfärben ihrer Tätowierungen, und frisches Harz wurde als eine Art Kaugummi verwendet und von Mund zu Mund weitergereicht. „Das meiste Harz befand sich im Wurzelwerk abgestorbener Bäume und wurde mühselig ausgegraben“, erklärt Bill.

„Später wurden auch die Stämme lebender Bäume eingeritzt, die dann regelrecht ausbluteten und abstarben“, sagt er weiter. Die Menschen hätten jeden Respekt vor der Natur verloren. „Wenn Sie mich fragen, ist die Erhaltung der Natur der Wichtigste im Leben der Menschen“, erzählt Bill, der auch einige Jahre in Auckland gearbeitet hat. „Aber das Leben in der Millionenmetropole mit ihren Hochhäusern gefiel mir nicht so richtig, und deshalb bin ich hierher zurückgekehrt. Dieser Wald ist jetzt mein Büro, und ich könnte mir keinen anderen Arbeitsplatz mehr vorstellen.“