Der Mann, der Elche tauscht

Unterwegs im ostschwedischen Småland: auf Elch-Safari bei August, Hilma und Julius.

Wie es für Bengt Delmeby sein wird, „Tschüss“ und „ha de så bra — mach´s gut“ zu seinem knapp 500 Kilo schweren August zu sagen, der nach Jönköpping umziehen wird? Der Mann in Karohemd und Jeans schweigt und schaut irritiert — aber der Augenausdruck scheint sagen zu wollen, dass es wahrscheinlich nicht ganz einfach würde. Und dann kommen doch ganz andere Worte über die Lippen: dass Elche ja keine Haustiere seien. Dass sie auf den 16 Hektar Wald- und Moorlandschaft hinter Bengts blutrotem Schuppen herumlaufen und die meiste Zeit doch nur bis zur Hüfte im Morast stehen und genau das toll finden. Und dass er Katzen habe, richtige Haustiere also, die meistens im hellgelb getünchten Wohnhaus auf der verglasten Veranda in den Kissen sitzen und mit ihm leben. Das wäre was anderes. Wenn da irgendwer käme und die tauschen wollte, da wäre er dagegen.

Foto: Helge Sobik

Regelmäßig tauchen Leute bei Bengt Delmeby in Småland auf, die Elche mit ihm tauschen wollen. Sie kommen nicht aufs Geratewohl. Sie kennen sich untereinander, haben dasselbe Hobby oder denselben Beruf — und arrangieren das Wechselspiel professionell. Und manchmal mit ein wenig Traurigkeit. Trotzdem geht es nicht anders. Für morgen hat sich ein Paar aus Jönköpping weiter im Norden angekündigt, das mit ihm Elche tauschen will.

Für den Bauern im Ruhestand ist das normal. Weil es nicht erlaubt ist, Zuwachs für die eigene Elche-Sammlung direkt aus der Wildnis heraus zu fangen. Wer in Schweden einen privaten Elchpark betreibt und frisches Blut dafür braucht, Abwechslung sucht oder ab und zu bei der Wanderung durchs Gelände mal in andere Gesichter schauen will, ist deshalb darauf angewiesen, mit einem anderen Elchparkbetreiber zu tauschen — und dafür fährt er von Zeit zu Zeit bei Kollegen mit dem Pferdeanhänger vor.

Diesmal geht es um Elchbulle August. Dabei ist er erst vor einem Dreivierteljahr wieder Vater geworden — und enorm fotogen. Ein Bilderbuch-Elch mit weit ausladenden Schaufeln des Geweihs. Genau so einer, wegen dessen Touristen vor allem in der Sommersaison zwischen Anfang Juni und Ende August in den Elchpark von Bengt Delmeby kommen. Sie wollen Schwedens Nationaltiere aus der Nähe sehen, Fotos schießen, so etwas wie eine kleine Safari machen, die anders als in freier Wildbahn mit Erfolgsgarantie verbunden ist. Denn einerseits sind die Elche in solchen Parks nicht mehr ganz so schreckhaft und zur Flucht entschlossen wie in freier Wildbahn, wenn sich ein Mensch nähert. Andererseits sind die großen Grundstücke dieser Parks eingezäunt: damit keines der Tiere abhauen kann.

„Vor allem aber“, sagt Delmeby lachend, „damit keiner hineinkommt! Denn wenn wilde Elche während der Brunft die Zäune überwinden und sich an Augusts Elchkuh Hilma heranmachen sollten, dann gäbe es Stress. Sie versuchen es regelmäßig. Ich habe den Zaun gerade erst wieder erhöhen müssen, auf inzwischen 2,50 Meter.“

35 Elchparks gibt es in Schweden, viele davon in der Provinz Småland nördlich und westlich der Küstenmetropole Kalmar. Bengt ist der sechste, der eine Lizenz bekommen hat, und konnte bereits 2002 eröffnen. Es gibt welche, da fährt man Schritttempo mit dem eigenen Auto durch. Wieder andere sind eher so etwas wie Wildtier-Zoos. Bei weiteren hockt man sich auf Anhänger eines Traktors montierte Sitzbänke, wird so durchs weitläufige Gehege gekurvt und kann besonders zutrauliche Exemplare von dort aus mit bei Elchen besonders angesagten Pappeln- und Birkenzweigen füttern.

Eine Zahl, wie viele Elche sorglos und doch in Gefangenschaft leben, gibt es nicht. Der Bestand an wild lebenden Großhirschen dieser Art wird allein in Schweden auf etwa 250 000 geschätzt. Dabei sind sie bei Einheimischen nicht mal sonderlich beliebt. Weil ihre Zahl rasant zugenommen hat, sie in der Land- und Forstwirtschaft Schäden anrichten, vor allem aber für viele schwere Autounfälle oft mitverantwortlich sind.

Im Ausland dreht sich das Bild: Schwedenreisende lieben die Elche. Weil sie in Mitteleuropa nicht vorkommen und deshalb herrlich exotisch sind. Sie sind Symbol geworden für schwedische Lebensweise — und damit auch Synonym für Freiheit, Weite, für fast grenzenlose Natur.

Bei Bengt Delmeby, Jahrgang 1946, war der Elchpark immer Nebenerwerb, ein schönes Hobby. Im Hauptberuf war er Farmer. Und jetzt, seit er im Ruhestand ist, führt er Besucher über Fahrwege und auf schmalen Pfaden zu Fuß über das Gelände — manchmal bis auf 15 oder 20 Meter Luftlinie an seine Elche heran. „Für mich ist der Park ein Zubrot zur Rente.“

Bengt Delmeby, Elchparkbetreiber

August steht diesen Vormittag bis zum Bauch im Morast und kaut Zweige. Wachsam verfolgt er jeden Schritt der Menschen, dreht den Kopf Millimeter für Millimeter mit, wenn sie sich bewegen und scheint zu posieren. Bis es ihm doch zu bunt wird, er mit langen Schritten und quietschenden Geräuschen aus dem Moor steigt, sich einmal mit dem Hinterbein an der Schulter kratzt und schließlich erst im Trab, dann im Galopp im Wald verschwindet. Ein bisschen sieht es so aus, als wollten die Hinterbeine die Vorderbeine überholen. Bengt kann offenbar Gedanken lesen: „Die laufen immer so“, sagt er.

Um die 1000 Besucher kommen jedes Jahr hierher, zahlen 60 Kronen Eintritt, umgerechnet etwa zehn Euro. Manche sind einfach plötzlich da, weil sie auf der Durchreise sein selbstgebautes Hinweisschild an der Landstraße oder den geschnitzten Holz-Elch in der Einfahrt eine halbe Stunde von Kalmar entfernt gesehen haben und auf den Hof einbiegen. Andere machen vorher einen Termin mit ihm aus, weil sie seine Website gefunden haben.

Im Elch-Business gibt es alles, auch die Familienvariante des Elchparks mit Bimmelbahn und Riesen-Souvenirshop. Bei Bengt ist das nicht so: „Lieber klein, authentisch, persönlich“. Souvenirs verkauft er trotzdem: Geweihe zum Beispiel. Und Schnitzereien. Und manchmal tauscht er: seine Elche. Und je mehr Nachwuchs es gibt, desto besser laufen die Tauschgeschäfte. Elchkalb Julius aber will Delmeby nicht hergeben — vorerst jedenfalls: Denn Urlauber schauen sich besonders gern die Jungtiere an und knipsen sie. Sie haben so etwas wie einen Niedlichkeitsbonus. Mal sehen, was die Tauschpartner sagen. Und was sie anzubieten haben. Einen neuen großen Bullen, den würde er nehmen und seinen August dafür hergeben. Auch wenn es ihm nicht ganz leicht fallen würde. Was Elchkuh Hilma sagt? Bengt zuckt mit den Schultern. „Sie wird nicht gefragt. Natürlich nicht.“

Die Reise wurde unterstützt von Regionalförbundet i Kalmar Län und Stena Line.