Im Reich der Raufbolde: Bei den Orang-Utans von Borneo
Berlin (dpa/tmn) - Zikaden zirpen so laut wie Hubschrauber, Nasenaffen gucken neugierig herüber. Orang Utans verspeisen laut schmatzend Bananen. Im Tanjung Puting Nationalpark auf Borneo kommen Besucher ihnen ganz nah.
Äste knacken, Laub raschelt, Vögel kreischen. Wenn die Waldmenschen kommen, kann von Heranschleichen keine Rede sein. Das haben die Orang-Utans, die „Menschen des Waldes“, gar nicht nötig. Sie haben keine natürlichen Feinde - bis auf den Orang, den Menschen. Im Tanjung Puting Nationalpark im Süden Kalimantans, dem indonesischen Teil Borneos, begegnen sich beide.
Joe Bowo liebt den Wald und die Affen. Deshalb ist er nach Kalimantan gekommen. Nur hier auf Borneo und auf der indonesischen Insel Sumatra leben Orang-Utans in freier Wildbahn. Am Anfang arbeitete der 47-Jährige als Ranger im Nationalpark, dann wurde er Tourguide. Zwischen Joes Händen steckt ständig eine Zigarette - die aufgerauchten Stummel steckt er ein, damit die Affen sie nicht finden. Denn Orang Utans ahmen Menschen nach - auch beim Rauchen.
„Princes and Princesses, feeding time!“ - Joes Ruf schallt morgens, mittags und abends über das Klotok, wie das traditionelle Boot genannt wird. Links und rechts zieht während der Tour der Urwald vorbei: ausladende Palmen, quietschbunte Vögel und immer wieder - Affen. Nicht immer sind es Orang-Utans, die sich durch die Baumwipfel am Flussufer des Sungai Sekonyer hangeln. Auch Nasenaffen blicken den vorbeifahrenen Booten hinterher.
Der Nationalpark lässt sich von Touristen nur mit Guide und auf Booten erkunden. Das Klotok dockt für den ersten Ausflug in den Regenwald in Tanjung Harapan an, einem der Camps des Nationalparks. An den grünen Holzhäusern am Ufer vorbei geht es auf einen schmalen Pfad in den Urwald. Beziehungsweise es ginge. Stünde Gondol nicht im Weg. Gondol ist ein Orang-Utan-Männchen, 22 Jahre alt. „Seine Eltern wurden von den Menschen getötet“, sagt Joe. Gondol kam als Waise in das Reservat - sein Schicksal teilen viele Orang-Utans.
Es sind vor allem zwei Probleme, die den Waldmenschen gefährden. Zum einen sind Orang-Utan-Babys für die Reichen in Südostasien begehrte Haustiere. Das Baby von der Mutter zu erbeuten, endet in den meisten Fällen mit deren Tod. Die Palmöl-Plantagen sind das zweite Übel. Über weite Teile erstrecken sich in Borneo nicht länger dichte Urwälder, sondern diese landwirtschaftlichen Großbetriebe. Für sie wird der Dschungel in bedrohlichem Ausmaß abgeholzt.
Nach einigen Minuten Musterung lässt Gondol die Touristen passieren. Über einen kleinen Trampelpfad geht es tiefer in den Dschungel hinein. Hin und wieder deutet Joe auf ein Loch im Boden: Achtung, hier haust eine Tarantel, heißt das. Das Zirpen der Zikaden hat eine Lautstärke, die an herannahende Hubschrauber erinnert. Plötzlich Geschrei oben in den Baumkronen: Zwei Orang-Utans balgen sich - einer fällt herunter. Die einheimischen Guides rufen nach dem Unglücksraben. Nach einigen Minuten die Entwarnung: Der Sturz hat nur eine kleine Schramme hinterlassen.
An der Fütterungsstelle ist es ruhiger - vom behäbigen Schmatzen der Orang-Utans mal abgesehen. Galuh und Galeh, Mutter und Baby, nähern sich dem Bananenhaufen nur vorsichtig. Auch die achtjährige Chelsea bleibt in sicherer Entfernung zwischen zwei Lianen hängen. Viele Tiere in den Reservaten des Tanjung Puting waren früher einmal Haustiere, erklärt Joko Purwanto, der als selbstständiger Reiseveranstalter in Kalimantan arbeitet.
Die Affen kommen auf Bestreben der indonesischen Regierung in den Nationalpark, erzählt er. Manchmal gehen die Mitarbeiter der Camps auch selbst in ein Dorf, wenn sie davon erfahren, dass dort ein Orang-Utan gehalten wird. Im Tanjung Puting versuchen die Ranger dann, die Tiere auszuwildern. Das ist nicht billig. Vier Millionen Rupien pro Affe pro Monat, rechnet Joko vor - etwa 260 Euro. Und im Schnitt sei ein Orang-Utan zwei bis drei Jahre im Reservat.
Als Galuh und Galeh im Wald verschwinden, führt Joe seine Schäfchen zurück zum Klotok. Bis zum Camp Leakey ist es noch ein Stück flussaufwärts. Ab und zu schippert das Klotok an einem Fischerboot vorbei, in dem ein Einheimischer den Fang in seinen Käfigen am Flussrand kontrolliert. Gesund kann es nicht sein, diesen Fisch zu essen. Denn der Fluss ist stark verschmutzt. Von einer Mine fließt Quecksilber hinein, das die Arbeiter beim Goldsuchen verwenden. Quecksilber verbindet sich mit den Goldpartikeln zu Amalgam - das erleichtert die Suche.
Das Dock von Camp Leakey liegt oberhalb der stark verschmutzen Zone. Dort sitzt wie zur Begrüßung ein Orang-Utan und beobachtet, wie die Boote anlegen. Im Camp Leakey wurden schon mehr als 700 Orang-Utan-Babys freigelassen, erzählt Joe. Die Fütterzeiten haben viele Affen noch im Gedächtnis: Wenn die Ranger die Bananen auftischen, kommen sie dafür oft zurück. So viele Orang-Utans auf einem Haufen - die Urlauber knipsen sich die Finger wund. Ob sich Touristen und Einheimische auch in Zukunft über diese besondere Begegnung freuen können, ist fraglich. Noch geht die Zerstörung ihres Lebensraumes durch das Abholzen der Wälder weiter.