Namibia: Wenn die Seele Feuer fängt

Eine Rundreise ist nichts Besonderes? Mit dem Mountainbike schon. Ein Selbstversuch in der Wüste.

Die Schweißperle hängt noch kurz an meiner Nasenspitze, dann tropft sie hinunter. Versickert im heißen Sand, oder ist auf dem Weg schon verdunstet. Ich denke kurz darüber nach, wie viele Liter ich heute schon verloren habe. Unterwegs in der Namib. Mit dem Mountainbike. Keine Ahnung. Ich schütte ständig Wasser nach. Der Versorgungswagen ist immer in der Nähe.

Die namibische Wüste per Rad zu erkunden, ist ein kleines Abenteuer. Vor allem ein anstrengendes. Doch es ist genau das, was dieses Land noch faszinierender macht, seine Einzigartigkeit spürbar werden lässt. Der trockene Duft der Wüste, flirrende Hitze, staubige Luft — und Stille. Ohne den eigenen, von Anstrengung schweren Atem zu hören, könnte man glauben, taub zu sein.

„Immer schnell treten, wenn Sand kommt“, ruft Wentzel Mall vergnügt. Er ist Guide bei Mountain Bike Namibia und will eigentlich immer nur Radfahren. Sengende Sonne hin oder her. Scheinbar mühelos radelt er durch den zum Teil tiefen Sand, der das Vorderrad abrupt stocken lässt. Oder über Geröll aus Steinen und von Wind verhärtetem Sand. „Bei Wellblech unbedingt beide Hände an den Lenker“, mahnt er. Wellblech gibt es auf den Pisten durch die Namib überall: Furchen aus festgefahrenem Sand, die vor allem in Kurven auch für Autos gefährlich werden können.

Sturzbäche bahnen sich ihren Weg unter dem Helm hervor, rinnen den Rücken hinunter bis in die Hose. Angeblich soll Schwitzen ja Kühlung bringen, doch davon ist bei etwa 45 Grad in der Wüste nichts zu spüren. Kein Wind, nicht mal ein laues Lüftchen. Stattdessen das Gefühl, von einer Sauna in die nächste zu fahren. Die Strecke führt wie mit einem Lineal gezogen geradeaus, stundenlang.

Besonders weit kann man jedoch gar nicht vorausschauen, denn dort verschwimmt alles in einem riesigen Flimmern. Ist das eine Fata Morgana?

Meine Beine treten unaufhörlich in die Pedale. Wie schön war es doch bis vor einigen Tagen noch am Steuer eines Toyotas, der so mühelos die Kilometer von Windhoek nach Swakopmund wegschnurrte. Jetzt strample ich auf dem Fahrrad einen winzigen Hügel hinauf — für den Kick, für noch mehr Gefühl für das Land. Ich überlege abzusteigen. Der Gedanke: „Ich kann nicht mehr“ frisst sich durch mein Gehirn. Das Blut hämmert in den Ohren. Weiter. Immer weiter. Eine Viertelstunde später ist es geschafft, die Kuppe erreicht.

Dahinter liegt eine ganz andere Namib: Eine mit goldgelbem Gras statt des beige-grauen, grobkörnigen Sands. Wentzel grinst: „Ich lebe in einem wunderschönen Land.“ Eine kurze Pause voller Staunen, jetzt weht sogar eine leichte Brise. Dunkelgrüne Büsche sind in die Ebene gestreut, weit entfernt lassen sich erste rote Dünen erkennen: die Vorboten von Sossusvlei. In der grellen Mittagssonne leuchten sie wie Feuer.

Immer wieder gibt es während einer Radtour durch Namibias größte Wüste diese Momente. Wenn der Blick über die Landschaft für alle Strapazen entschädigt, das Brennen in den Beinen einem viel heftigeren in der Seele weicht. Wenn dieses Land mit einer solchen Wucht aufs Gemüt schlägt, dass man hofft, die Zeit bleibe stehen. Nur für eine Weile. Um alles andere zu vergessen. Eine Rundreise per Fahrrad ist intensiv, man fängt Feuer für das Land.

„Wer nicht mehr kann, steigt einfach ins Auto ein“, erklärt Andrew Bassing-thwaighte. Denn der Radreise-Veranstalter ist kein Trainingslager für Profis. „Jeder fährt sein eigenes Tempo und nur so weit, wie er kann und will“, sagt der Chef. Schließlich ist es am Ende die gleiche Rundreise, wie mit dem Auto. Durch die unterschiedlichsten Regionen Namibias: von grau-braunen Bergen bis zu roten Dünen. Inklusive Tierbeobachtung, denn neben der Atlantikküste und dem Damaraland steht auch der Etosha Nationalpark auf dem Reiseplan. Größere Distanzen werden mit Geländewagen zurückgelegt, dann wieder einzelne Etappen geradelt.

Am späten Nachmittag ist das vorläufige Ziel erreicht: Rostock Ritz. 12 000 Hektar Land gehören zu der Farm, die 1998 für Besucher geöffnet wurde und heute eine der schönsten Lodges des Landes ist. Runde Bungalows, am Hang gebaut und alle mit unverstelltem Blick über die Wüste. Zum Sundowner geht es dann für alle im offenen Land Rover einen Hügel hinauf: Rote Dünen auf der einen, schwarze Berge mit bizarrem Profil auf der anderen Seite. Ein Stück entfernt trotten Bergzebras über eine Kuppe. Durch das Gelände führt ein neu angelegter Trail. „Extra für die Mountainbiker“, sagt Besitzer Wolfgang Kühhirt. Am nächsten Tag können die Teilnehmer die anspruchsvolle Strecke testen, die durch Berge, einen Wadi mit tiefem Sand und über dicke Felsen führt. Der Clou: Es ist ebenso eine Strecke für Geländewagen. Mal so richtig den Allrad-Antrieb ausreizen, wenn der Wagen glatte Felswände hinauf muss oder vier Anläufe ins und aus dem Wadi heraus braucht.

Fahrrad oder Land Rover — das ist die Frage. Doch dieses Abenteuer muss noch warten, denn die Sonne verschwindet innerhalb weniger Minuten als leuchtend orangefarbener Feuerball vom namibischen Himmel und taucht die Wüste in tiefes Schwarz. Die ohrenbetäubende Stille am Tag weicht tausenden Geräuschen in der Nacht. Insekten zirpen und surren, Wüstenratten rascheln im Gestrüpp, Zebras klappern mit ihren Hufen auf den Felsen. Und über allem ein glitzerndes Dach aus Millionen funkelnder Sterne.