Junge Künstler bei der WZ Bildforscher Sebastian Riemer: Das Spiel mit Schärfe und Unschärfe
Zum 140-jährigen Bestehen der WZ stellen junge Künstler in den Verlagsräumen an der Kö aus — so auch der Fotokünstler.
Düsseldorf. Ihr 140-jähriges Bestehen feiert die WZ im Girardet-Haus mit einer Ausstellung junger Künstler in den Verlagsräumen. Die Auswahl betreute Katharina Klang von der Sammlung Philara. Während die meisten der bislang vorgestellten Kreativen noch Studenten sind oder vor kurzem den Abschluss an der Kunstakademie machten, ist Sebastian Riemer (Jg. 1982) ein gestandener Künstler.
Der Meisterschüler von Thomas Ruff und Absolvent von Christopher Williams wurde mit Preisen überhäuft. Er bekam das DAAD-Stipendium und den Förderpreis des Landes, war Stipendiat in Moskau und Istanbul, erhielt den zweiten Preis des Audi Art Award, den Lovells Art Award und den Zukunftspreis der Setareh-Galerie. Er ist in Galerien in Los Angeles und Paris vertreten.
Im Gespräch erklärt Riemer: „Es ist ein sehr analytisches Sehen. Man muss auf das zu fotografierende Objekt so gucken, wie eine Kamera guckt. Also möglichst dumm. Man muss überlegen, wie man mit dieser relativ dummen Technik etwas Neues machen kann.“
Bei einer Gruppenausstellung der Setareh-Galerie zur Farbe Schwarz (2014) hielt er sich als Einziger nicht ans Thema, sondern präsentierte das Schwarze Quadrat auf weißem Grund (1915) von Kasimir Malewitsch in Farbe. Er hatte die Ikone der Kunstgeschichte 2011 in der Tretjakow-Galerie gesehen und war erschrocken über ihren erbärmlichen Zustand. Er sagt: „Man hat ein Meisterwerk im Kopf. Wir konsumieren ja fast nur noch Abbildungen. Das Original war in einem katastrophalen Zustand.“ Er zog die Aufnahme daraufhin als invertierte Fotografie ab und hatte die vielen Farbschichten, die dem Schwarz innewohnen.
Riemer stößt 2013 beim Trödeln auf schwarz-weiße Fotos aus den 1920er Jahren, die nachträglich verschlimmbessert wurden. Wieder schickt er seine Fundstücke durch einen hoch auflösenden Scanner und erkennt nun die Retuschen der einstigen Fotografen und Zeitungsmacher, die man im Rasterdruck der Zeitung nicht bemerkte. Die durch den Scanner gejagten Trouvaillen wirken wie die Schnittmenge von Fotografie und Malerei.
Er arbeitet von nun an wie ein Archäologe an der Geschichte alter Vintage-Prints aus Europa und Amerika. Auf der Suche nach altem Material wird er im Internet fündig. Dort entdeckt er die alten Aufnahmen tanzender Mädchen, die in der WZ zu sehen sind. Sie haben den Charme des Vergangenen, aber sie haben auch dessen Aura.
Das sind keine Bilder heutiger Tänzerinnen, die man in der nächsten Sekunde schon vergessen hat. Doch diese Aura ist arg zugerichtet. Die Mädchen wurden durch die Mangel von Zeitungs-Layoutern gejagt, wurden abgeschnitten, verschlimmbessert und retuschiert. Sebastian Riemer zieht sie in Lebensgröße ab. So treten sie dem Betrachter gegenüber, sind fern und nah, kaputt und schön zugleich, artistisch und zerstört. Doch die Magie in der Art, wie Riemer sie präsentiert, wird besser dokumentiert als im bloßen Abbild.