Twelve Points für die TV-Show

Düsseldorf/Berlin (dpa) - Die Bereitschaft zum Fremdschämen fürs eigene Land war da. Aber hallo. Und die zum Verriss auch. Der Eurovision Song Contest in Düsseldorf würde bestimmt peinlich provinziell aussehen, meinten deutsche Skeptiker vorab, der Austragungsort führe ja schon das „Dorf“ im Namen.

Die Moderatoren würden bestimmt patzen. Und überhaupt: Gibt es ARD-Geheimpapiere, dass der ESC nach einem deutschem Sieg an einem Ort mit „ü“ über die Bühne gehen muss? München 1983, Düsseldorf 2011 - nächstes Mal Osnabrück? Münster? Rügen?

Doch dann das: Viele der durchschnittlich 13,83 Millionen TV-Zuschauer sind am Samstagabend überwältigt, als swinging Stefan Raab am Anfang Lenas Siegerlied „Satellite“ rockt, als die pompösen Lichtshows einem den Atem rauben oder als sich die riesige LED-Wand öffnet und den Blick auf die pinkfarbenen Green-Room-Kapseln freigibt. Wie bei vielen Großereignissen inzwischen üblich, sind Tausende parallel zum Fernsehen online, machen auf ihrer Facebook-Seite einen privaten Live-Ticker: „Wow“, „Geil“, „Stark“.

Warum der Eurovision Song Contest auf deutschem Boden umwerfend war, obwohl weder Hamburg noch Berlin zum Zuge kamen. Ein paar Lobeshymnen anhand von Grand-Prix-Siegertiteln:

„Diva“ (Israel 1998): Viel Häme musste Judith Rakers vorher aushalten. Doch obwohl sie bei der „Tagesschau“ meist nur mit dem Oberkörper zu sehen ist: Sie hat auch Beine! Und sie hat ihre Mitmoderation sehr glamourös gemeistert. Die Diva des ESC 2011!

„Merci, Chérie“ (Österreich 1966): Wenn man Düsseldorf 2011 mit München 1983 vergleicht (als sich die charmante Präsentatorin Marlène Charell leider recht oft verhaspelte), dann ist diesmal vor allem eine Frau sensationell gewesen: Anke Engelke! Sie ist der Eurovisions-Liebling des Jahres. Allein, wie sie sich anmutig durch die Punktevergabe lächelte! Danke, Anke! Thank You! Merci! Es war ein Vergnügen. A Pleasure. Un Plaisir.

„Fairytale“ (Norwegen 2009): Wie ein „Märchen“ sah Deutschland in den Einspielfilmchen aus, mit denen jedes Land vorgestellt wurde. Regisseur Tobias Baumann drehte die „Postcards“ im Modelleisenbahn-Look (Tilt-Shift-Optik: kleiner Bildteil scharf) und wurde höchsten Ansprüchen eines verwöhnten Publikums gerecht. Man sah sich kaum satt.

„Ein bißchen Frieden“ (Deutschland 1982): Müssen jetzt alle Skeptiker mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen schließen. Die Show war beeindruckend und trotzdem nicht so von Gigantismus geprägt wie im Jahr 2009 in Moskau. Kritikpunkt vielleicht: Irgendwann wird auch wieder weniger mehr sein. Der ganze LED-Zirkus und Bombast: Kann das ewig so weitergehen? Aber faszinierend war es schon...

„Hallelujah“ (Israel 1979): „Lobet den Herrn“ - man kann sich aussuchen, ob man nochmal Stefan Raab für seine Lena-Findung letztes Jahr oder ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber preisen will. Jedenfalls haben sie beide das alles zu einem großen Teil ermöglicht. Kritikpunkt: Etwas internationaler als Jan Delay hätte der Show-Act in der Pause zwischen den Interpreten und der Punktevergabe ruhig sein können.

„Puppet on a String“ (Vereinigtes Königreich 1967): Wie eine „Marionette“ wirkte Stefan Raab auf internationalem Parkett in den Halbfinals. Im Finale war er cool. Aber: Er bekam nicht genug, ein Verzicht auf die Moderation hätte ihm besser gestanden als das Prompter-Ablesen mit breitem Grinsen. Hape Kerkeling statt Raab: Das wäre es gewesen!

„Après toi“ (Luxemburg 1972): „Nach Dir“, Lena, geht es weiter. Letztes Jahr hatte Lena eine Unbekümmertheit, die international begeisterte. Dieses Jahr war der Neu-Effekt weg und offensichtlich eher bei anderen Ländern zu finden, auch wenn Aserbaidschan jetzt nicht gerade das war, was man revolutionär nennt.

„Waterloo“ (Schweden 1974): Eine vernichtenden Niederlage wie 1815 für Napoleon war 2011 für Lena sicher nicht. Platz zehn ist nicht schlecht. Doch alle Besserwisser hatten Recht: Man hätte es lieber bleiben lassen sollen mit dieser Mission Titelverteidigung, die eher aus dem Sport kommt...

Apropos Sport. Unterm Strich gilt: Deutschland kann 2011 nach dieser Mega-Veranstaltung in etwa so stolz sein wie 2006. Damals war es die gelungene Fußball-WM mit dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“, diesmal der Musik-ESC mit dem noch emotionaleren Motto „Feel your heart beat“. Germany: Twelve points für diese Show-Woche!