Fall Mirco: Die Rückkehr des Chefermittlers

Ingo Thiel von der Gladbacher Kripo war mit dem Verbrechen befasst. In Oedt berichtete er von seiner Arbeit.

Foto: Friedhelm Reimann

Oedt. Für ihn sei es ein komisches Gefühl, wieder nach Grefrath zu kommen, sagt Ingo Thiel. Auf dem Weg zum Oedter Altenzentrum sei er an der Bushaltestelle An der Kleinbahn vorbeigekommen — dort, wo alles begann. „Da brach wieder was auf.“

An dieser Bushaltestelle hatten Freunde am 3. September 2010 den zehnjährigen Mirco zum letzten Mal gesehen. Eine Sonderkommission nahm die Arbeit auf, um den Jungen zu finden, eine der aufwendigsten Mordermittlungen der deutschen Kriminalgeschichte mit zeitweise bis zu 80 Beamten, geführt von Kriminalhauptkommissar Ingo Thiel, begann.

Am 26. Januar 2011 nahm die Polizei den 45-jährigen Familienvater Olaf H. aus Schwalmtal fest. Das Gericht verurteilte H., der die Tat gestand, zu lebenslanger Haft und stellte auch die besondere Schwere der Schuld fest.

Chefermittler Ingo Thiel hat über diesen und zwei weitere Fälle das Buch „SOKO im Einsatz: Der Fall Mirco und weitere brisante Kriminalgeschichten“ geschrieben. Am Mittwoch kam er nun ins Oedter Altenzentrum, um aus dem Buch vorzulesen.

Das Interesse war groß, rund 100 Zuhörer waren gekommen. Der Fall beschäftigt heute noch die Grefrather. Thiel ist durch den Fall Mirco eine „traurige Berühmtheit“ geworden. Doch er betont, dass der Erfolg Teamarbeit gewesen sein.

In seinem Buch beschreibt Thiel den Soko-Alltag. Für die Lesung hat er sich auch einige persönliche Kapitel herausgesucht. Er beginnt am Ende, als Olaf H. die Beamten zur Ablagestelle der Leiche führt, wo Thiel ihn zum ersten Mal trifft und sagt: „Hab’ dich!“

Thiel liest vor, wie er an einem freien Samstagabend auf seiner Couch saß und ein Glas Wein genoss, als das Telefon klingelte und ein Kollege sagte: „Wir haben einen Jungen weg.“ Wie er den Eltern, mit denen er heute noch befreundet ist, das Versprechen gab, Mirco zu finden. Wie er nach dem Geständnis von Olaf H. sein Handy durch den Raum feuerte und ihm die Tränen kamen.

Thiel liest sachlich, mit fester Stimme, lässt sich seine Gefühle nur selten anmerken. Doch kurz vor Ende der Lesung, als er sagt: „Der Junge, der heute elf Jahre alt wäre, ist tot. Und bevor er gestorben ist, hatte er schwer zu leiden“, da atmet Thiel mehrfach hörbar ein und aus.

Nicht nur für Thiel, auch für die Zuhörer sind die Erzählungen bedrückend. Der Kloß im Hals ist einigen fast anzusehen. Von „Gänsehaut“ spricht der Leiter des Altenzentrums, Bernd Spangenberg, nach der Lesung. Er schildert, dass ihm Menschen im Vorfeld gesagt hätten, sie wären gerne gekommen, aber es wühle sie zu sehr auf.

Im Anschluss haben die Zuhörer noch viele Fragen. Der Täter, sein Motiv und seine Familie beschäftigen viele Fragensteller. Thiel sagt, H. sei ein narzisstischer Mensch, der die Tat heute wieder abstreite und immer wieder anderen Menschen die Schuld daran gebe. Die Ausübung der Macht, über das Leben eines Kindes entscheiden zu können, nennt Thiel als Motiv.