Bilder erzählen Stadtgeschichte Als eine Stadt zum Friedhof wurde
1971 kamen bei einem Zugunglück zwischen Beyenburg und Radevormwald 46 Menschen ums Leben — 41 von ihnen Kinder.
Radevormwald/Wuppertal. Der Eisenbahnunfall von Dahlerau traf Radevormwald mitten ins Herz. Nachdem am 27. Mai 1971 auf der Strecke zwischen Wuppertal-Beyenburg und Radevormwald ein Sonderzug und ein Güterzug frontal zusammengestoßen waren, war mit einem Schlag nichts mehr wie vorher. Bei dem Unfall starben 46 Menschen, davon 41 Schüler der Geschwister-Scholl-Schule in Radevormwald, die von einer Abschlussfahrt aus Bremen zurückgekehrt waren.
Kurt Keil, langjähriger WZ-Fotograf, hat die Woche nach der Tragödie in Radevormwald miterlebt. „Die Stadt war wie ein großer Friedhof“, beschreibt der Zeitzeuge. Geschäfte hatten teilweise geschlossen, Veranstaltungen wurden abgesagt, Taxen fuhren mit Trauerflor. „Das war eine unheimliche Stimmung“, sagt Keil. Zu dieser Zeit kämpften viele Verletzte in den Krankenhäusern noch um ihr Leben. Die Turnhalle Bredderstraße wurde in der Not zur Leichenhalle umfunktioniert, in der die vielen Toten aufgebahrt wurden.
„Jede Familie war entweder selbst betroffen oder kannte jemanden, der betroffen war“, erinnert sich Keil an die schwere Situation in Radevormwald. Er selbst gab sich Mühe, das Geschehen nicht zu nah an sich heranzulassen. „Man drängt so etwas weg, sonst kann man seinen Job nicht mehr machen.“
Die Trauerfeier am 2. Juni besuchten 10.000 Menschen, darunter auch der damalige Bundeskanzler Willy Brandt und Bundesratspräsident Hans Koschnick. Beileidsbekundungen kamen nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus Frankreich und England. Der herbeigesehnte Abschluss wurde von einem weiteren Zwischenfall überschattet. Auf dem Friedhof brach der Onkel eines verstorbenen Kindes bei hohen Temperaturen zusammen und starb an einem Herzinfarkt.
Wer schuld daran war, dass der Schienenbus mit dem Güterzug kollidierte, konnte nie restlos aufgeklärt werden. Fakt ist, dass ein Missverständnis zwischen dem Lokführer des Güterzuges und dem Fahrdienstleiter am Bahnhof Dahlerau dazu führte, dass der Güterzug seine Fahrt auf dem einspurigen Gleis fortsetzte, obwohl im Gegenverkehr der Sonderzug mit den 61 Schülern und sechs Erwachsenen angerollt kam. Der Bahnangestellte versuchte noch, auf den losfahrenden Zug aufzuspringen und ihn zu stoppen. Doch dieser fuhr schon zu schnell.
Damals gab es keinen Sprechfunk in den Zügen, so dass das vorhersehbare Unglück nicht mehr abgewendet werden konnte. Das Personal im Güterzug rechnete zu dieser Zeit mit keinem Gegenverkehr. Der Sonderzug hatte 30 Minuten Verspätung.
800 Meter hinter dem Bahnhof Dahlerau prallten um kurz nach 21 Uhr mehrere Tonnen Stahl aufeinander. Der Triebwagen wurde 100 Meter weit zurückgedrückt, wobei der Schienenbus bis auf ein Drittel seiner Größe zusammengepresst wurde.
Sofort wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Feuerwehr, Polizei, Sanitäter, aber auch Eltern, die zu ihren Kindern gelangen wollten, eilten am späten Abend zum Unglücksort. Für viele Opfer im Wrack kam jede Hilfe zu spät. Nur ein Kind blieb, wie durch ein Wunder, unverletzt.
Hatte der Bahnangestellte ein falsches Signal gegeben oder hatte das Personal im Güterzug das Signal falsch gesehen? Fragen, die für immer ungeklärt bleiben. Der Fahrdienstleister kam vor Eröffnung des Gerichtsverfahrens bei einem Autounfall ums Leben — nachgewiesenerweise war es kein Suizid. Ausgesagt hatten aber beide Beteiligten, dass sie keinen Fehler gemacht hatten.