Bilder erzählen Stadtgeschichte Brandt riss 1969 die Zuhörer mit

Den damaligen Kanzlerkandidaten wollten trotz Regens rund 2000 Menschen hören.

Foto: Kurt Keil

Wuppertal. Regen hat Wuppertaler noch nie von etwas abgehalten. Das zeigte sich auch, als 1969 der Kanzlerkandidat der SPD, der damalige Parteivorsitzende und Außenminister Willy Brandt seinen Wahlkampfauftritt in Wuppertal hatte. Auf dem Platz vor dem Barmer Rathaus versammelten sich am 27. August über 2000 Menschen.

Foto: Kurt Keil

Bei diesem Wahlkampf-Auftritt Brandts war auch der langjährige Fotograf der WZ (damals noch General-Anzeiger) dabei: „Für mich als Fotografen waren es damals noch goldene Zeiten“, erzählt er. „Man konnte sich bewegen, fast wie man wollte.“ Er habe „rauf auf die Bühne und wieder runter“ gedurft. Kein Vergleich zu später - zum Beispiel beim Besuch Erich Honeckers. Da habe er für jeden Raum im Engelshaus eine eigene Zulassung gebraucht.

Beim Auftritt Brandts vor dem Barmer Rathaus hatten die Wuppertaler Parteigenossen zunächst große Sorgen, denn es goss „wie aus Kübeln“, wie der General-Anzeiger berichtet. Doch als der Gast ankam, ließ der Regen nach. Brandt konnte unter freiem Himmel zum Publikum sprechen.

Und das war von dem charismatischen Politiker gebannt. „Er war ein hervorragender Rhetoriker“, erinnert sich auch Wolfgang Ebert, langjähriger SPD-Stadtverordneter und SPD-Vorsitzender, der damals als 18-Jähriger gerade in die Partei eingetreten war. „Er war in der Lage, die zentralen Punkte des Parteiprogramms so rüberzubringen, dass er die Stimmung der Menschen getroffen hat.“ Wahlkampf zu der Zeit sei „mit heute absolut nicht mehr vergleichbar“, sagt er. „Es gab damals eine starke Konfrontation darüber, wie sich die Gesellschaft entwickeln sollte.“

Brandt wurde auch bei seinem Auftritt in Wuppertal ausgepfiffen, ist im General-Anzeiger zu lesen. Aber er „wurde mit Zwischenrufen und Pfeifern überlegen fertig“. Und Versammlungsleiter Johannes Rau, damals Mitglied im SPD-Bundespräsidium, Landtagsabgeordneter und Stadtverordneter, konterte, indem er den Pfeifern für ihre „stichhaltigen Argumente“ dankte.

Ebert betont, Willy Brandt habe gerade junge Menschen angesprochen, weil er gesellschaftliche Reformen wollte. Er erinnert sich, dass er und seine Mitschüler über die Ostpolitik oder den Zugang zu Bildung diskutierten und nach der Besetzung Prags durch die Sowjetunion 1968 spontan eine Solidaritätsdemonstration auf dem Döppersberg machten.

Einen kleinen Lapsus von Brandt bei einem Wahlkampfauftritt weiß er auch noch — der aber vielleicht in der Stadthalle passierte. Der Kanzlerkandidat habe für den SPD-Bundestagsabgeordneten Kurt Matthes werben wollen und gesagt, er wäre sehr froh, wenn die Wuppertaler „wieder meinen alten Freund Karl Matthes“ wählen würden. Der habe sich später noch lange Anspielungen auf den falschen Vornamen anhören müssen.

In seiner Rede vor dem Barmer Rathaus verteidigte er die Ostpolitik und forderte unter anderem die Verdoppelung der Arbeitnehmerfreibeträge und die Gleichstellung der Frau. Auch zu Wuppertal hatte er etwas zu sagen. Er lobte den Zusammenschluss zur Großstadt von 1929: Diese vorausschauende Kommunalpolitik sei die Voraussetzung für „gedeihliches Wachstum“ gewesen. So eine Politik sei auch künftig nötig — nicht immer durch Industrieansiedlungen. Denn die brauche weite Flächen, aber die „sind nun mal nicht so häufig hier im Tal der Wupper“, hatte er erkannt.