Leben im Denkmal (12): Von der Ruine zum Schmuckstück
Das Haus an der Friedrich-Engels-Allee 171 ist 200 Jahre alt — genau wie die Straße selbst.
Unterbarmen. „Diese Hütte? Nie!“ Renate Dicken kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Und wer bei ihrem Lebensgefährten Kurt Reinartz die sorgsam sortierten Fotos sichtet, die vor der Sanierung entstanden sind, weiß, was die 58-Jährige meint. „Das war eine Ruine damals“, erinnert sich Dicken — zu sehen ist davon längst nichts mehr. Das Wohn- und Geschäftshaus an der Friedrich-Engels-Allee 171 ist ein Schmuckstück geworden. „Warten Sie, da fehlt noch das i-Tüpfelchen“, kündigt Reinartz an und fährt die alten, aber neu bespannten Markisen zur B 7 aus.
Gut 200 Jahre alt ist das Gebäude, also praktisch so alt wie die Allee, die 2012 bekanntlich Jubiläum feiert — im Erdgeschoss, so wird vermutet, befanden sich schon immer Ladenlokale. Ein Ofendoktor half anno dazumal den Unterbarmern, Schuhe gab es dort zu kaufen oder später auch Tabak und Zigarren. An diese Tradition erinnert das prächtige Glasfenster in der Eingangstür. Darauf zu sehen: ein Tabakhändler, der auf einer Sänfte getragen wird. „So soll das damals gewesen sein“, sagt Renate Dicken.
Viel aus der Geschichte des Hauses sei allerdings nicht erhalten, weshalb die Neu-Eigentümer sich gefreut haben, als sich vor zwei Jahren eine alte Dame meldete, die selbst in dem Haus gewohnt hatte. „,Wenn Sie was wissen wollen, müssen Sie mich nur fragen’, hat sie damals gesagt.“ Weshalb Dicken jetzt doch zumindest einige Anekdoten rund ums Haus kennt. Unter anderem soll es als eines der ersten Toiletten im Außenanbau gehabt haben.
Kurt Reinartz
„In der ersten Etage war damals die Herrenwohnung“, erzählt Kurt Reinartz bei einem kleinen Rundgang. Da wohnt mittlerweile Frauke Kafka, die im Erdgeschoss ihren Laden betreibt und das Leben in einem Denkmal genießt. „Ich habe vorher in einer Neubausiedlung in Schwelm gewohnt, das war einfach zu clean“, sagt die 69-Jährige. In Unterbarmen sei alles per Fuß oder per Schwebebahn erreichbar.
Was in ihrer Wohnung auffällt, sind vor allem der originale, knarrende Holzdielenboden — und einige verstreut liegende Bälle. „Die Wände und Böden sind natürlich schief, aber meine Katze Bella mag das Spiel mit den Bällen.“
Bis aus der Ruine aber wieder eine heimelige Wohnstätte wurde, ging fast ein Jahr Sanierung ins Land. „23 Tonnen Lehm mussten allein erneuert werden“, sagt Reinartz, gelernter Buchbindermeister und Restaurateur, der sein Geschäft auf dem Nebengrundstück hat. „Er blickte also die ganze Zeit praktisch direkt auf das Haus“, sagt Dicken. Als es dann schließlich zum Verkauf stand, schlugen die beiden zu.
„Atti“, wie alle Reinartz nennen, sei sowieso ein Allround-Handwerker, worauf Dicken mit einem Lächeln hinweist. Und „Atti“, der auch als Musiker im Tal bekannt ist, erzählt gerne von den Arbeiten. Die Fenster mussten zum Beispiel aufgearbeitet, vom Dielenboden im Erdgeschoss „fünf, sechs Zentimeter Farbe abgekratzt werden“. Ja, viel Arbeit mache so ein Haus „und fertig sind wir ja auch noch nicht“, sagt er und blickt in den Garten. Irgendwann sei auch der dran, so soll der Zugang zur Wupper schöner gestaltet werden. Reinartz ist aber bereits jetzt stolz auf sein Wohnschätzchen: „Es geht bestimmt einfacher, günstiger, vielleicht auch besser — aber auf keinen Fall schöner.“