Auf der Suche nach den Petroglyphen
Ein ungewöhnlicher Hinweis führt Nina und Adrian durch jeden Winkel ihrer Insel.
Tonga. In einer Hafenbar in Tongas Hauptstadt Nuku'alofa hatte uns ein Segler vor fast einem Jahr im Scherz zugeflüstert: „Ihr seid doch sicherlich verrückte Schatzsucher, oder?“ Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass er später nahe dran an der Wahrheit liegt. Die Prophezeiung, denken wir heute an ihn zurück. Wir haben bloß noch keine Schatzkarte, die uns den Weg weist. Wir wissen allerdings mit ziemlicher Sicherheit, dass es auf unserer kleinen Insel etwas Bedeutendes zu finden gibt.
Vermutlich kein Gold - aber wer kann das schon ausschließen? -, sondern einen historischen Schatz, der viel Aufschluss über die Geschichte der frühen Südseebewohner geben könnte. Unfassbar! Der Hinweis kam über das Gesuch nach einem Bootstransport in einem Tonga-Newsletter. Wir hatten inseriert, weil Freunde uns besuchen wollten. Der Besitzer eines kleinen Resorts auf der Hauptinsel Tongatapu entdeckte die Notiz und kontaktierte uns über die Emailadresse von Ninas Eltern, die gelegentlich auf unserem Satellitentelefon anrufen.
Zusammen mit einem Archäologen sei er vor einiger Zeit für ein paar Tage auf unserer Insel gewesen, schrieb er - um nach Spuren aus weiter Vergangenheit zu suchen. Sie seien leider nicht fündig geworden. Aber vielleicht würden es ja wir, so seine Hoffnung. Was auf der Insel verborgen sein muss, sind in Stein geritzte Zeichen, sogenannte Petroglyphen. Dass sie da sein müssen, geht aus einer Überlieferung Anfang des vergangenen Jahrhunderts hervor.
Zu dieser Zeit betrieben Einheimische eine Kopraplantage; der Grund dafür, warum so viele Kokosnusspalmen wachsen. Die Nüsse werden geröstet, zu Kokosraspeln und -öl verarbeitet und exportiert. Das Geschäft hat sich irgendwann nicht mehr rentiert, weil die Insel zu weit abgelegen ist, und so wurde sie wieder einsam. Aber irgendwann zuvor hat jemand ungewöhnliche Zeichen in Felsen entdeckt. Etwa 30 Zentimeter große Symbole, darunter eine Sonne, Menschen, ein Auge, von dem drei Fingern abstehen, und einiges mehr.
Die Angaben von damals sind nicht genau und auch nicht richtig dokumentiert. Der Archäologe hofft darauf, dass es vielleicht noch mehr zu finden gibt. Sehr ähnliche Zeichen hat man auch in Hawaii entdeckt. Welche Bedeutung haben solche Zeichen? Wie hängen sie zusammen? Wurden sie zur Navigation genutzt? Jedenfalls sind wir bestens gelaunt, dass Menschen - offenbar schon vor 500 bis 1000 Jahren, so die wissenschaftliche Schätzung - bereits hier waren.
Wir sind nur noch mit Spaten und Besen unterwegs, um Sand wegzuschaufeln und wegzukehren. Es ist unklar, wo genau die Zeichen auf der Insel und wie gut sie noch zu erkennen sind, aber wahrscheinlich ist, dass sie in Felsen nahe am Strand geritzt wurden. Wir ärgern uns wahnsinnig, dass wir von den Zeichen nicht schon direkt nach dem Zyklon, der über uns Anfang des Jahres hinweggefegt ist, gewussten hatten.
Danach waren alle Felsen freigespült, viel Sand der Strände wurde ins Meer verschoben. Mittlerweile sind die Steine wieder bedeckt, die Strände zurück. Naheliegend wäre, dass die Steinzeichen irgendwo in der Nähe von Schriftzügen zu finden sind, die während der Koprazeit in Felsen hinterlassen wurden. Wir sind bereits auf einzelne Namen gestoßen. Wir vermuten, dass die Insulaner sich direkt neben den Petroglyphen verewigen wollten. Falls wir etwas Interessantes entdecken, sollen wir trockenen Sand darüber streichen, so die Bitte des Archäologen, und dann fotografieren.
Vieles dürfte nur noch sehr schwach zu sehen sein, weshalb wir am besten bei aufgehender Sonne suchen, wenn das Licht seitlich fällt. Nina und ich fragen uns so langsam selbst, ob wir es übertreiben. Denn begeistert von der Entdeckungslust stapfen wir auch jeden Winkel im Inselinnern ab. Wir sind dabei sogar tatsächlich auf unnatürliche Steinreihen, verdeckt von Erde, gestoßen. Wir hätten gerne, dass es sich dabei um Fundamente erster Siedlungen handelt, vermutlich sind es aber Überbleibsel aus der Koprazeit.
Das nehmen wir deshalb an, weil wir auf der Insel bislang auf drei für damals typische Grabmale gestoßen sind: senkrecht um große Bäume aufgestellte Steine. Mittlerweile waren wir auch mit Dorfchef Tevita auf einer unserer ebenfalls unbewohnten Nachbarinseln, als er mal wieder auf einem Fischzug bei uns vorbeigeschaut hat. Auch da ärgern wir uns im Nachhinein: Hätten wir bereits von den Zeichen gewusst, hätten wir auch die Felsen der zwei Meilen von uns entfernten Nachbarinsel absuchen können.
Das müssen wir jetzt eben bei nächster Gelegenheit nachholen. Wenn wir doch nur ein kleines Motorboot hätten. In der nächsten Kolumne geht es um den bevorstehenden Abschied von der Insel - ein Jahr in der Südsee geht schon dem Ende zu.