Frauenfußballweltmeisterschaft Deutschland gegen Frankreich: Kampf der Kulturen
Deutschlands Powerfußball gegen Frankreichs Kombinationswirbel: In der Halle von Montreal treffen im Grunde im Viertelfinale am Freitag viel zu früh zwei Stilmittel dieser Frauen-WM aufeinander
Montreal. Vermutlich hätte selbst eine spontane Freikartenaktion an der Metrostation „Pie-IX“ nicht mehr geholfen, die völlig verwaisten Oberränge im Olympiastadion von Montreal zu befüllen. Es ist nun einmal so, dass sich die französischsprachige Millionen-Metropole mit seinem ausufernden Freizeitangebot nur bedingt für diese Frauen-WM interessiert, was zu teils erschreckenden Zuschauerzahlen und einem unwürdigen Ambiente in „The Big O“ führt, wie viele Kanadier die monumentale Spielstätte aus einer längst vergilbten Sportepoche nennen.
Weshalb es allemal hilfreich war, dass eine vierköpfige deutsche Delegation — mit Bundestrainerin Silvia Neid kamen auch Assistentin Ulrike Ballweg, Torwarttrainer Michael Fuchs und Managerin Doris Fitschen — gleich nach der Ankunft in der frankophil geprägten Provinz Québec sich unter die 15.518 Augenzeugen mischte, die sahen, wie Frankreich im Achtelfinale mühelos Südkorea (3:0) bezwang und sich für das Viertelfinale gegen Deutschland (Freitag 22 Uhr MESZ/live ZDF) empfahl.
„Eine technisch brillante Mannschaft, die auf allen Positionen hervorragend besetzt ist. Ich erwarte ein Spiel zweier gleichwertiger Gegner, die sich nichts schenken werden", teilte Silvia Neid sogleich mit. Die 51-Jährige, die seit Jahren die Entwicklung des französischen Frauenfußballs mit größter Bewunderung verfolgt, weil dort jenes versierte Spiel gelehrt wird, für das sie als 111-fache Nationalspielerin einst selbst stand, weiß: Ihre Mannschaft könnte nun erneut in einem Viertelfinale scheitern, ohne - und das ist der Unterschied zur Heim-WM 2011 - besonders viel falsch zu machen.
Fest steht: Die DFB-Auswahl hat diesmal ein echtes Auswärtsspiel. „Les Bleues“ werden zumindest ein paar Tausend mit der Heimat verwurzelte Sympathisanten auf die gelben Klappsitze locken, die sich dank des Hallencharakters auch Gehör verschaffen können: Nach einigen Unfällen mit dem brüchigen Dach wurde in den 90er Jahren eine lichtundurchlässige Kunststoffkonstruktion eingebracht, die sich nicht mehr öffnen lässt. Immerhin soll es unten auf dem Feld nicht so heiß werden wie in einem sonnenüberfluteten Freiluftstadion. „Die Aircondition funktioniert. Es fühlt sich ganz gut an“, sagte Amandine Henry, die emsige Fleißbiene aus dem französischen Mittelfeld, die Defensive und Offensive so wunderbar miteinander verzahnt. Dann steht dem Kampf der Kulturen auf Kunstrasen ja nichts entgegen: französischer Kombinationswirbel gegen deutschen Powerfußball. Wobei Frankreichs Nationaltrainer Philippe Bergeroo glaubt: „Die Deutschen sind sehr kraftvoll, aber auch sehr stark am Ball.“ Für die 61-jährige Vaterfigur, in aktiven Zeiten Keeper in Lille, Bordeaux und Toulouse und Frankreichs dritter Torwart bei der WM 1986, steht fest: „Jedes Team hat seinen eigenen Stil. Wir werden versuchen, mit unseren Mitteln erfolgreich zu sein.“
Wäre ja auch Hochverrat, sich auf einmal aufs Kratzen und Beißen zu verlegen, wo doch nach einigen Anlaufschwierigkeiten bei diesem Turnier Spielkultur und Spielkunst zurück sind. Dass ausschließlich aus den fürstlich entlohnten Protagonisten von Olympique Lyon und Paris St. Germain besetzte Ensemble flößt selbst Nadine Angerer allergrößten Respekt ein: „Frankreich ist für mich der Topfavorit“, sagt Deutschlands Nummer eins.
Warum steigt das Duell der derzeit besten europäischen Frauen-Teams so früh? Den Weltranglistenersten (Deutschland), -zweiten (USA) und —dritten (Frankreich) gemeinsam in eine Hälfte des Tableaus zu pressen, damit diese sich auf dem Weg ins Finale nach Vancouver (5. Juli) gegenseitig eliminieren, riecht nach dem nächsten Unfug, den der kanadische Fußballverband CSA und der Weltverband FIFA verzapft haben. Um dem limitierten Team des Gastgebers, das sich nun mit einem mühsamen 1:0 gegen die Schweiz ins Viertelfinale quälte, möglichst weit kommen zu lassen? Es würde das mitunter etwas unscharfe Profil von Doris Fitschen immens schärfen, wenn sie so etwas auch direkt kritisieren würde, anstatt nur zu sagen: „Frankreich ist für mich eine der allerbesten Mannschaften der Welt. Es ist schade, dass zwei so gute Teams schon im Viertelfinale aufeinandertreffen. Wir hätten gerne im Finale gegen sie gespielt.“ Aber vielleicht lernen ja die Organisatoren der Frauen-WM 2019 daraus. Die findet bekanntlich in Frankreich statt. Und da würde das Duell gegen Deutschland auch als Traumendspiel taugen.