Doping-Akte Russland: Bis 2020 wird es nicht funktionieren

Rio de Janeiro (dpa) - Die skandalöse Doping-Akte Russland wird nach dem Erlöschen des Olympischen Feuers in Rio nicht geschlossen.

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Nach dem Copacabana-Kompromiss mit der Zulassung von 285 Athleten aus dem Land, in dem Staatsdoping festgestellt wurde, muss die in Verruf geratene Sportgroßmacht mit weiteren Folgen und Sanktionen rechnen. Das arg in die Bredouille geratene Internationale Olympische Komitee mit dem Deutschen Thomas Bach an der Spitze muss nun über den unfassbaren Betrug im Winterspiele-Kontrolllabor von Sotschi richten.

„Sie können sicher sein, dass alle Dopingproben von allen russischen Athleten überprüft werden, und zwar auf Doping und auf Manipulation“, kündigte IOC-Chef Bach vor der Rio-Schlussfeier an. „Wir werden uns darum direkt nach den Olympischen Spielen kümmern.“

Erwiesen ist bereits durch WADA-Ermittler Richard McLaren, der die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen hat, dass der russische Geheimdienst FSB positive Dopingproben von eigenen Sportlern ausgetauscht und manipuliert hat. Für Bach ist das eine „beispiellose Attacke auf die olympische Integrität“ und zugleich ein Grund, mit Blick auf die Winterspiele 2018 in Pyeongchang hart durchzugreifen.

Soll Russland also komplett ausgeschlossen werden? Die Nationale Anti-Doping-Agentur NADA gab darauf eine klare Antwort. „Russland hat von staatlicher Seite aus das Anti-Doping-System unterlaufen und betrogen. Deshalb muss auch für Pyeongchang ein Ausschluss gefordert werden“, mahnte NADA-Vorstandschefin Andrea Gotzmann an.

Der Ex-Fechter Bach wird der Forderung wohl kaum folgen und anstelle des generellen Banns wieder den Weltverbänden die Verantwortung überlassen, Maßnahmen gegen Russland zu ergreifen. „Die Ankündigung von härtesten Sanktionen und die fast folgenlose Hinnahme von Betrugsvorgängen bei Olympischen Spielen passen nicht zusammen“, kritisierte der deutsche Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop das Taktieren des IOC in Rio.

Die Ringe-Organisation müsse ihre Politik verändern und sie „nicht an politischen Interessen“ ausrichten. Der Weltverband IAAF habe mit dem Komplett-Bann der russischen Leichtathleten bei den Spielen am Zuckerhut ein Beispiel gegeben. Die Suspendierung für internationale Wettkämpfe ist zeitlich nicht beschränkt und die Aufhebung hängt davon ab, wie schnell Russland das Anti-Doping-System reformiert.

Skeptisch ist der Doping-Experte Fritz Sörgel, dass die Kehrtwende zur Ehrlichkeit kurzfristig möglich ist. „Das wird auch bis zu den Spielen in Tokio 2020 nicht funktionieren“, sagte der Nürnberger Pharmakologe der dpa. Das habe man schon nach der deutschen Wiedervereinigung gesehen. Auch in der früheren DDR gab es ein Staatsdoping. „Und die Betrugsmentalität kann man nicht so schnell wandeln“, meinte Sörgel, der den Doping-Trubel in Rio wie folgt kommentierte: „Schlimmer geht es nimmer.“

Vor und während der Rio-Spiele gab es zudem Nachrichten aus der Doping-Vergangenheit, die Einblicke in das Ausmaß des globalen Sportbetruges geben. Bei Nachtests der Spiele 2008 in Peking und 2012 in London wurden rund 100 Athleten als Doper entlarvt. Zudem illustrierte ein „Medaillenspiegel der Schande“, den die Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlichte, wie viele vermeintliche Olympia-Helden in der Geschichte wieder vom Siegertreppchen hinunter befördert wurden: Es waren 74 Gold-, Silber- und Bronzemedaillengewinner. Dabei liefern sich die Betrüger aus Russland ein Kopf-an-Kopf-Rennen (11:11) mit denen aus den USA.

Einig sind sich viele im Weltsport, dass es radikale Veränderungen im Anti-Doping-Kampf geben muss. „Nach Gesprächen mit Insidern in Rio hat sich mein Weltbild zur WADA dramatisch verschlechtert“, sagte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. „Was die geliefert und geleistet oder nicht geleistet hat, ist kein haltbarer Zustand. Mich wundert nichts mehr.“ Und wie sauber sind die 918 Medaillengewinner von Rio? Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ weiß es zwar auch nicht, baute aber vor und nannte die Auflistung der Edelplaketten „Zerrspiegel“.