Polit-Drama überschattet Olympia
Rio de Janeiro (dpa) - Vor ein paar Tagen hatte Dilma Rousseff einen Termin der angenehmeren Art. Sie eröffnete das Schmuckkästchen im Olympiapark von Rio de Janeiro, das neue Schwimmstadion.
„Welch überraschend frische Brise hier“, meinte Brasiliens Präsidentin angesichts eines ausgeklügelten, energiesparenden Systems zur Luftzirkulation.
Rousseff lächelte, neben ihr der Bürgermeister von Rio de Janeiro, Eduardo Paes. Doch zu Lachen hat Rousseff nun gar nichts mehr - aller Voraussicht nach, wird sie die Olympischen Spiele nicht eröffnen können. Die Rio-Organisatoren dürften aufatmen, dass das Polit-Drama nicht schon früher auf diesen Höhepunkt zugesteuert ist. Denn regiert wird das Land derzeit kaum noch. Aber die Finanzierung ist gesichert.
Immer wieder sagen Bürger in Rio: „Alles fing mit dem 1:7 gegen Deutschland an.“ Die bittere WM-Halbfinal-Pleite 2014 wird vielfach als Menetekel gesehen, tiefe Rezession, 9,6 Millionen Menschen sind mittlerweile arbeitslos. Dann kam noch die mysteriöse Zika-Epidemie und irgendwann gewann die Stimmung Oberhand: „Dilma muss weg“.
Ende April wird der Senat sie wahrscheinlich für zunächst 180 Tage suspendieren, dann werden Vorwürfe wie Kredite ohne Erlaubnis des Kongresses und Tricksereien beim Haushalt intensiv geprüft. Die Intrigen und Ränkespiele in Brasilía erinnern an eine Telenovela.
Statt ihrer könnte dann Vizepräsident Michel Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) die Spiele für eröffnet erklären, der 75-Jährige ist kaum minder umstritten, wegen einer WhatsApp-Panne machte schon der Entwurf einer Ansprache ans Volk die Runde, wenn er an die Staatsspitze aufrückt. Auch Paes gehört der PMDB an, bis zuletzt hielt der Rio-Flügel der Partei zu Rousseff. Kritiker meinen, sie war daher erpressbar, wenn es um weitere Gelder für Olympia ging.
Was bedeutet das Polit-Drama für Olympia?
1. Es gibt kein Olympiafieber. Das Land ist paralysiert, Millionen demonstrieren, die Parlamentssitzung, bei der mit deutlicher Mehrheit die Amtsenthebung auf den Weg gebracht wurde, schauten sich tausende Menschen an der Copacabana per Public-Viewing an, jede Stimme für die Absetzung wurde wie ein Tor bejubelt. Der Ticket-Verkauf verläuft schleppend. Von insgesamt 7,4 Millionen Karten für olympische und paralympische Spiele sind rund 62 Prozent verkauft. Die Sorge: Wegen der Zika-Gefahr könnten auch viel weniger Touristen nach Rio reisen.
2. Sparzwang: Bisher gibt es keine Protestbewegung, die explizit die Olympischen Spiele in das Visier nimmt, aber die Sozialproteste vor der Fußball-WM entstanden auch überraschend. Auch deshalb gibt es einen enormen Spardruck - in verschiedenen Sportstätten wird es weit weniger Zuschauerplätze geben als zunächst geplant, ebenso tausende Freiwillige weniger; und die Sportler müssen Abstriche beim Komfort machen. Zudem wird bei der Eröffnungs- und Schlussfeier gespart.
3. Die Stadien stehen: „Die Organisation ist nicht davon betroffen“, betont ein Rio2016-Sprecher. „Alles ist zu 98 Prozent fertig.“ Und: Sogar das wichtigste Infrastrukturprojekt der Spiele, eine Metrolinie in das weit außerhalb liegende Barra, wo sich der Olympiapark mit den meisten Sportstätten befindet, könnte fertig werden. Es gab gute Fortschritte bei Tunnelarbeiten, wenn alles klappt, soll Anfang Juli ein Testbetrieb starten. Ohne die 16 Kilometer lange Linie drohen nervtötende Anreisen mit Bussen.
4. Das Prinzip Hoffnung: Wenn die Bewohner von Rio („Cariocas“) sich eines nicht verderben lassen, dann ist es die gute Laune. Paes setzt auf heitere Spiele wie 1992 in Barcelona, die einen Touristenboom auslösen. Die Macht der Bilder aus einer der spektakulärsten Städte der Welt soll die Probleme übertünchen - und die Brasilianer einen, zeigen, dass man dieses Megaereignis trotz Krise gestemmt bekommt.
Von Seiten des Internationalen Olympischen Komitees macht man sich (noch) keine Sorgen - die zehnte und letzte Inspektionsreise wurde gerade beendet - das Fazit war positiv. Die Vorbereitungen seien jetzt in eine operative Phase eingetreten, „in der diese Art von politischen Problemen viel weniger Einfluss haben“, betont ein IOC-Sprecher. Bleibt zu hoffen, dass die Lage friedlich bleibt - Rousseff vergleicht das Vorgehen gegen sie mit einem „Staatsstreich“.