Trotz Fukushima hofft Tokio auf Olympia-Zuschlag
Tokio (dpa) - In der Atomruine Fukushima sickern Hunderttausende Liter hochverstrahlten Wassers aus undichten Kühlwassertanks, in Wasserpfützen auf dem AKW-Gelände werden teils tödliche Strahlenwerte gemessen, doch für den Chef des Japanischen Olympischen Komitees ist das alles kein Problem.
In der Hauptstadt Tokio sei das „Leben absolut normal“, versichert Tsunekazu Takeda seinen Kollegen beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) in einem Brief, aus dem japanische Medien kurz vor der Entscheidung über die Vergabe der Olympischen Spiele 2020 an Tokio, Istanbul oder Madrid zitierten. Die Luft und das Wasser in Tokio würden täglich überprüft und es gebe keinen Grund zur Sorge. Tokio sei von dem, was sich im 250 Kilometer nördlich gelegenen Fukushima abspiele, in keinster Weise betroffen.
Tokio macht sich Sorgen, dass die in jüngster Zeit verschärfte Krise in Fukushima die eigenen Chancen gegenüber den beiden Mitbewerber-Städten vor der Entscheidung in Buenos Aires an diesem Wochenende torpedieren könnte. Dabei hatte die Millionenstadt nach dem vorherigen erfolglosen Bewerbungsversuch seine erneute Bewerbung für Olympia auch damit begründet, dass die Spiele der Nation nach den Schrecken der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe 2011 Kraft und Motivation verleihen würden.
Tokios Gouverneur Naoki Inose, der sich vor einiger Zeit beim IOC für herablassende Äußerungen über den Mitbewerber Istanbul entschuldigen musste, wird denn auch nicht müde, immer wieder zu betonen, dass die Radioaktivität in der 35 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt die gleiche sei wie in London, Paris oder New York. Tatsächlich galt Tokio bisher als klarer Favorit.
Die japanische Hauptstadt wirbt mit hervorragender Infrastruktur und finanzieller Stärke. Tokio sei weltweit die Stadt mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt, betonte Takeda. Zudem habe Tokio für die Olympischen Spiele 400 Milliarden Yen (3 Milliarden Euro) auf der Bank liegen und zudem die volle finanzielle Rückendeckung des Staats.
Zwar hat Japan die höchste Staatsverschuldung unter allen Industriestaaten. Doch anders als andere Länder ist der Staat zum größten Teil bei seinen eigenen Bürgern verschuldet. Die wirtschaftlichen Probleme Japans sind im Vergleich zu denen des Mitbewerbers Madrid noch vergleichsweise gering. Mit Tokio als Ausrichter der Olympischen Spiele werde es keine Probleme geben, lautet die deutliche Botschaft. Ein weiterer Trumpf Tokios ist der Umstand, dass ein Großteil der Wettkampfstätten innerhalb eines Radius von gerade mal acht Kilometern um das Olympische Dorf liegt.
Dazu zählt das Olympia-Stadion, Zentrum der Spiele von 1964. Das Stadium wird mit Milliardenaufwand bis 2020 rundum modernisiert. Es gibt allerdings auch kritische Stimmen. So sei das Wasser in Odaiba, wo die Schimmwettbewerbe der Triathleten stattfinden sollen, eigentlich durch Abwässer zu verschmutzt. Bei der zuständigen Hafenabteilung der Stadtverwaltung von Tokio hieß es dazu lediglich, der künstliche Strand auf Odaiba sei nicht als Badeort gedacht. Für Veranstaltungen wie Triathlon gebe es aber Sondergenehmigungen.
Nach Schätzungen der Regierung würden die Spiele Japan einen wirtschaftlichen Effekt von drei Billionen Yen (rund 23 Milliarden Euro) bringen. War Japans vorherige Bewerbung für die Spiele 2016 unter anderem auch an der damals geringen Begeisterung der Bewohner Tokios gescheitert, so verweisen die japanischen Organisatoren heute auf eine Umfrage, wonach 92 Prozent der Bürger für eine Olympia-Ausrichtung in Tokio seien. Doch nicht jeder Bürger in der Hauptstadt ist begeistert.
Tokio gebe horrende Summen für die Unterbringung der Athleten aus, während Obdachlose von ihren Schlafplätzen nahe der Wettkämpfstätten vertrieben würden, beklagt Tetsuo Ogawa (42), Mitbegründer der Bürgergruppe „Menschen gegen Olympia“. Ende August demonstrierten 50 Mitglieder der Gruppe auf Tokios weltberühmter Luxus-Einkaufsmeile Ginza und riefen „Zuerst der Wiederaufbau in Fukushima“ oder „Olympische Spiele sind eine Verschwendung von Steuergeldern“.