EM-Stall-Duell: Prügelei mit Verschwörungstheorie
Berlin (dpa) - Pokalspiele haben ihre eigenen Gesetze, Stall-Duelle im Boxen wohl auch. In der Halbschwergewicht-Europameisterschaft prügelte sich Herausforderer Jürgen Brähmer vor 4 500 Zuschauern zum Titel gegen den unterlegenen Eduard Gutknecht und warf einige Fragen auf.
Nach der Schlägerei mit Haken und Ösen, die sogar mit Catcheinlagen gespickt war, hatte sich Ex-Weltmeister Brähmer nach zehn Monaten Ringpause in die erste Reihe zurückgeboxt und erhält nun eine WM-Chance. Beide Boxer des Sauerland-Stalls sahen Tag nach dem Kampf im Gesicht so gezeichnet aus, als hätten sie einen mittelschweren Autounfall hinter sich. Brähmers Cut an der rechten Augenbraue wurde noch in der Max-Schmeling-Halle genäht.
Nach dem einstimmigen Punktsieg (114:113, 116:111, 117:110) des Rechtsauslegers heizte Gutknecht-Trainer Ulli Wegner die Stimmung mit Verschwörungstheorien weiter an. Nur durch einen K.o.-Sieg hätte sein Schützling - so angeblich die Stallorder - gewinnen können. Der 70 Jahre alte Erfolgscoach, offenbar tief getroffen durch die knappe, aber gerechtfertigte Niederlage, redete sich hoch erregt in Rage: „Was glaubt ihr, wen ihr vor euch habt“. Der neben ihm sitzende Promoter Kalle Sauerland versuchte die Wogen zu glätten: „Vielleicht sollte Ulli darüber eine Nacht schlafen.“ Der entthronte Europameister Gutknecht sagte unmittelbar nach der verbissen geführten Ringschlacht: „Den Sieg bekam der mit dem größeren Namen“.
Der Kampf war alles andere als ein Leckerbissen für Box-Ästheten. Vom ersten Gong an wollte der ansonsten sauber boxende Gutknecht seinen Herausforderer mit wilden Attacken überraschen und aus dem Konzept bringen. Das gelang ihm zum Teil, sorgte vor allem aber dafür, dass die Regeln verletzt wurden. Gutknecht drückte den Kopf seines Gegners oft herunter, schlug mit Unterarmen und Ellenbogen - und erhielt erst in der 9. Runde viel zu spät eine Verwarnung vom nicht sehr souverän wirkenden Ringrichter Terry O'Connor. Der Engländer musste nach fast jeder Ringpause warten, bis Wegner verspätet und mühsam den Ring verlassen hatte.
Aber Brähmer („Wegners Äußerungen sind ein bisschen unsportlich“) war alles andere als das arme Opfer. Oft hatte der 34-jährige Schweriner mit gesenktem Kopf attackiert und sich im wüsten Gerangel laut Wegner ein-, zweimal „hinfallen lassen“. Karsten Röwer, schon zu Amateur-Zeiten Brähmers Trainer und nach 15 Jahren Unterbrechung jetzt wieder, analysierte den Kampf wohl richtig: „Jürgen waren die zehn Monate Pause natürlich anzumerken, er hatte von beiden aber die etwas klarere Linie“.
Gutknecht war in der zweiten Hälfte des Kampfes Leidtragender seiner eigenen Überfall-Taktik geworden. Er kam nicht mehr heraus aus der Nummer und versuchte es mit der Brechstange. Der vier Jahre jüngere Gifhorner verfügt aber nicht über den Punch, um den mit allen Wassern gewaschenen Brähmer entscheidend zu bremsen.
Dem Schweriner, der nach zahlreichen Zusammenstößen mit der Justiz in der Vergangenheit längst als geläutert gilt, winkt jetzt die WM-Chance im August oder September. „Er ist Pflichtherausforderer des Siegers der WBO-Weltmeisterschaft Cleverly gegen Krasniqi“, sagte Sauerland und ließ seine Fantasie spielen: „Vielleicht verteidigt Weltmeister Brähmer seinen Titel zuerst gegen Gutknecht“.
Im EM-Rahmen hatte sich Robert Woge aus Halle den vakanten IBF-Intercontinental-Titel im Halbschwergewicht gegen den Franzosen Hakim Zoulikha durch Technischen K.o. in der 11. Runde geholt. Der Sieg war teuer erkauft - Woge verletzte sich an der Hand und erlitt einen Trommelfellriss.