Klitschkos Kampf um Titel und Demokratie

Going (dpa) - Es ist die fast vollkommene Ruhe, die Vitali Klitschko an seinem Trainingslager in Tirol besonders schätzt. Der Schwergewichts-Weltmeister bereitet sich seit dem 25. Juli in der zum Boxgym umfunktionierten Tennishalle des Hotels „Stanglwirt“ in Going vor.

Klitschko lebt auf einer abgeschiedenen Hütte. Die Unterkunft liegt abseits der Hauptwanderwege des Bergmassivs Wilder Kaiser. Das Einzige, was ihn dort stört, sind Eichhörnchen, die nachts im Dachstuhl des Holzhauses herumtoben. Ansonsten kann sich der 40 Jahre alte Ukrainer auf die Verteidigung seines WBC-Titels konzentrieren, die ihn am 10. September ins polnische Breslau führt. Dort soll mit seinem Kampf gegen Lokalmatador Tomasz Adamek das Fußballstadion für die EM 2012 eröffnet werden.

Die Ruhe, die in der Tiroler Bergwelt herrscht, kann Klitschko aber nicht in vollen Zügen genießen. Er nutzt jede freie Minute, um sich mit den politischen Verwerfungen in seiner Heimat zu befassen. Mit seiner Partei UDAR (Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen) sitzt Klitschko im Stadtparlament von Kiew. Zuletzt hielten ihn die Vorkommnisse um die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko auf Trab. Die Oppositionsführerin war wegen mutmaßlichen Amtsmissbrauchs in Untersuchungshaft genommen worden. Die Opposition einschließlich UDAR werteten das als Versuch von Präsident Viktor Janukowitsch, die Demokratiebewegung zu torpedieren.

Um Flagge zu zeigen und einen Offenen Brief für den Kampf um die Demokratie zu verlesen, war der Boxweltmeister Anfang August aus Österreich einige Tage nach Kiew gereist. Zwar verpasste er dadurch keine Trainingseinheit, da sein Trainer Fritz Sdunek mit ihm gekommen war, die ständige Ablenkung sollte auf Sduneks Anraten jedoch ein Ende haben.

Dass ihn seine beiden parallel verlaufenden Karrieren zu viel Substanz kosten könnten, glaubt Klitschko nicht. „Im Gegenteil, die eine gibt mir Kraft für die andere“, sagt der Zwei-Meter-Mann. „Derzeit schauen viele sorgenvoll auf ihr Leben. Die Ukraine entwickelt sich Schritt für Schritt zurück zu einer Diktatur. Ich will helfen, die Demokratie zu stärken und mein Heimatland nach Europa zu führen.“

Zunächst jedoch steht die Herausforderung Adamek im Vordergrund. Im Sparring übt Klitschko mit den US-Amerikanern Fres Oquendo und Ola Afolabi, dem Letten Mairis Briedis und dem Hamburger Konstantin Airich, die körperlich dem 1,91 Meter großen Adamek ähneln. Sie sind schnell, beweglich und explosiv und haben von Sdunek die Weisung erhalten, den technisch ausgereiften Stil des 34 Jahre alten Polen, der für überfallartige Angriffe mit schnellen Kombinationen bekannt ist, zu imitieren. Sdunek ist mit seinem Schützling zufrieden: „Ich habe das Gefühl, dass Vitali immer besser wird.“

Das sieht auch Klitschko so. „Ich fühle mich besser als mit 30, weil ich heute viel bewusster lebe. Mir tut es gut, dass ich eine Balance aus Anspannung und Entspannung gefunden habe“, sagt er. Zudem trage eine ausgewogene Ernährung zum Wohlbefinden bei. Klitschko: „Ich habe verstanden, dass man einen Sportwagen nicht mit Normalbenzin betanken kann. Deshalb esse ich nur noch Dinge, die für den Körper wichtig sind.“