König Klitschko und die Ungewissheit: Was kann Pulew?
Hamburg (dpa) - Wladimir Klitschko regiert das Schwergewicht des Berufsboxens schon so lange, dass kaum jemand an seinen Sturz zu denken wagt. Der 38 Jahre alte Ukrainer ist seit acht Jahren Champion, hat seit zehn Jahren nicht mehr verloren.
Und jetzt soll ihm ausgerechnet ein Bulgare namens Kubrat Pulew die Titel von IBF, WBO und WBA entreißen? „Vielleicht ist das die schwerste Aufgabe, vor der Klitschko je im Boxring stand“, sagt Pulew-Promoter Kalle Sauerland über das Duell am Samstag (20.15 Uhr) in Hamburg. „Wladimir ist ein großer Champion. Aber Kubrat ist ein großer Herausforderer.“
Der Gegner wurde nicht ausgesucht wie bei einer freiwilligen Titelverteidigung. Als Nummer eins der IBF ist der 33-jährige Pulew Pflichtherausforderer. „Für mich ist Pulew der Stärkste im Schwergewicht nach Klitschko“, betont Jean-Marcel Nartz, einst Technischer Leiter bei Sauerland. Groß war das Heckmeck im Vorfeld. Streit um fehlende Doping-Trainingskontrollen bei Klitschko, Streit um den Kampfvertrag, Aussperrung von Sauerland-Vertretern bei der Pressekonferenz, Streit um die von Klitschko ausgesuchten Handschuhe. Beide Seiten machen keinen Hehl aus ihrer Abneigung füreinander.
20 Profikämpfe hat der in Berlin lebende Pulew bislang bestritten und alle gewonnen. Klitschko hat mehr zu bieten: Er steht bei 65 Kämpfen und 62 Siegen. „Wladimir ist wie ein guter Wein: Je älter, desto besser. Er hat seine Schwächen noch weiter reduziert“, schwärmt Thomas Pütz, Präsident des Bundes Deutscher Berufsboxer (BDB).
Die 14 500 Zuschauer in der ausverkauften O2-Arena in Hamburg und die Millionen Box-Fans vor den TV-Geräten können sich auf einen Kampf freuen, der vermutlich spannender als Klitschkos jüngste Auftritte wird. „Von allen Schwergewichtlern ist Kubrat derzeit der Mann, der Klitschko am gefährlichsten werden kann“, versichert Pulew-Trainer Otto Ramin. Da erhält der Coach Unterstützung von neutraler Seite. „Pulew hat eine Chance. Er ist ein ernstzunehmender Gegner, ist boxerisch super ausgebildet. Aber er muss Mut mitbringen. Er muss Klitschko pressen, ihm den Raum nehmen“, erklärt Ex-Europameister Luan Krasniqi.
Gerade das kann Klitschko überhaupt nicht leiden. Er hält den Widerpart mit seinem langen Jab aus Distanz. Greift der Gegner an, klammert er ihn und erstickt jeden Schlag schon im Keim. Ein Augenschmaus ist das nicht. „Es ist Aufgabe des Ringrichters, das zu unterbinden“, sagt Krasniqi. Fakt ist aber: Einen Schlagabtausch wird es in einem Klitschko-Kampf nicht geben. Krasniqi: „Klitschkos Formel ist: Minimales Risiko, maximaler Erfolg.“ Klitschko sieht es von einer anderen Warte: „Nicht getroffen zu werden ist eben eine Kunst.“
Herausforderer Pulew gibt sich vor dem Kampf erstaunlich locker. Der ehemalige Europameister, der bei einem Sieg seine Freundin Andrea heiraten will, verpasst dem Champion eine Breitseite: „Er ist wie ein Mädchen“, sagte der Bulgare im RTL-Interview. Klitschko-Manager Bernd Bönte wehrt alle Attacken ab: „Für Wladimir ist es die 17. Titelverteidigung, der 26. WM-Kampf. Er ist nach Joe Louis der am längsten amtierende Weltmeister im Schwergewicht.“ Bei solchen Meriten möchte er keine Widerworte von der Gegenseite hören. Das findet auch der BDB-Chef. „Die müssen einfach mehr Respekt vor einem solchen Ausnahmeathleten wie Wladimir haben“, fordert Pütz und prophezeit einen K.o.-Sieg Klitschkos in der achten Runde.
Seine bevorstehende Vaterschaft hat der Champion ausgeblendet. Anfang Dezember soll es soweit sein. Ob das Familienleben mit Tochter und seiner Verlobten, der US-Schauspielerin Hayden Panettiere, auch Klitschkos Sportlerleben neu ordnen wird, muss sich zeigen. „Ich habe Angst vor der biologischen Uhr, die unaufhaltsam tickt“, sagt Klitschko. „Aber noch spüre ich mein Alter nicht. So lange ich es noch schaffe, der Beste zu sein und die Gegner zu dominieren, gibt es keinen Grund aufzuhören.“