Fußball Bundesliga: So funktioniert der Video-Beweis

Ab der neuen Fußball-Saison wird das Projekt in der 1. Bundesliga in der Praxis getestet. Die Schiris werden dafür derzeit geschult. Ingo Kalischek hat ihnen zugeschaut — und den Selbsttest gemacht.

Foto: Neue Westfälische

Köln. „Check Strafstoß“, die Stimme flattert leicht, „wobei, vielleicht doch nicht, Moment.“ Vor mir an der Wand: Sechs mächtige Bildschirme mit 20 verschiedenen Kamera-Einstellungen. Hinter mir: Schiri-Legende Hellmut Krug. „Was denn jetzt?“, fragt er. Die Uhr tickt, die Sekunden rasen. Ich sitze im Kölner Replay-Center und darf das testen, was den Fußball für immer verändern soll: den Videobeweis. Zuerst in der Bundesliga, schon ab der kommenden Saison.

Alle 23 Bundesliga-Schiris werden derzeit hier geschult, um ab der kommenden Saison zusätzlich als Videoassistenten zu agieren. Ihr Job: Grobe Fehlentscheidungen des Unparteiischen auf dem Platz korrigieren — binnen weniger Sekunden.

Wie soll das gehen? Bereits seit dieser Saison testen DFB und DFL den Videobeweis — offline. Je vier Schiris verfolgen je eine Wochenendbegegnung an den Bildschirmen. Bei klaren Schnitzern ihrer Spielfeld-Kollegen überprüfen sie die Szenen. Noch geschieht das nur in der Theorie. Ab der kommenden Saison steht der Praxistest an. Dann werden die Beteiligten per Headset kommunizieren — und so notfalls Entscheidungen korrigieren. Der Videobeweis soll den Fußball fairer machen. Kritiker sagen, er wird ihm die Emotionen rauben.

Viel Platz ist in dem stickigen, kleinen Raum nicht. Für eine Schulklasse würde es hier eng. Deshalb bläst ein Ventilator am Eingang kühle Luft in unsere Richtung. Ich bin dran, neue Szene: Eine Spielaufzeichnung aus der Premiere League: Ich soll die Entscheidung des Schiris vom Monitor aus überprüfen. „Check Foul“, rufe ich, als ein Spieler von Manchester City in seinen Gegenspieler grätscht. Der Schiri im Stadion zögert nicht lange: Rot. Korrekt? Ich muss es besser wissen, schließlich sehe ich die Szene jetzt erneut: in Zeitlupe, als Standbild, als Nahaufnahme, aus einem anderen Winkel. „Vor, stop, zurück, vor — andere Kamera“, bitte ich den Videotechniker neben mir, der mir die verschiedenen Kamera-Einstellungen in Bruchteilen von Sekunden zur Verfügung stellt. Ich sacke nervös ich den Stuhl zurück. „Wie sieht’s aus?“, fragt mich Projektleiter Krug schon wieder. „Ich weiß es nicht sicher. Ich glaube, die Entscheidung passt: Rot.“ Krug schmunzelt. „Wie lange haben Sie dafür wohl gebraucht?“, fragt er mich. „Puh, so 20 Sekunden?“ Von wegen: Eine Minute und 18 Sekunden. „Und, hatte ich wenigstens recht?“, frage ich in die Runde. „Gelb wäre richtig gewesen, aber Rot ist keine klare Fehlentscheidung“, sagt der 60-jährige Krug, der bis 2007 die Schiri-Abteilung beim DFB geleitet hat.

Innerhalb von rund 10 bis 40 Sekunden sollen die Videoassistenten die Entscheidungen ihrer Kollegen überprüfen, manchmal kann’s auch länger dauern. „Es werden aber keine drei Minuten“, verspricht Krug. Bei vier Szenen werden sie eingreifen: Tor, Elfmeter, Rote Karte und Spielerverwechslung — also bei spielrelevanten Szenen. Sonst nicht. Videotechniker — sogenannte Operator — stellen ihnen dafür bis zu 17 verschiedene Perspektiven zur Verfügung. Mit dem Ziel, die beste Sicht auf eine Szene zu bekommen.

Jetzt sind die Profis dran: Vier Bundesliga-Schiris haben es sich neben mir vor den Bildschirmen bequem gemacht: „Oldie“ Wolfgang Stark, Robert Hartmann, Markus Schmidt und Youngster Benjamin Brand. Sie stehen sonst Woche für Woche auf dem Spielfeld. Heute sind sie als Videoassistenten in dem kleinen Raum im Cologne Broadcasting Center gefragt.

Jeder von ihnen verfolgt eine Partei des 31. Spieltags. „Check Foul“, ruft Wolfgang Stark — und signalisiert dem Operator dadurch, dass er sich den Zweikampf noch einmal in Ruhe anschauen will. Dortmunds Marco Reus war soeben hart eingestiegen — Tätlichkeit? „Hier auf Kamera 7 sieht man, dass die Schulter dran war, und nicht der Ellbogen. Kein Rot — richtige Entscheidung“, sagt Stark nach 20 Sekunden. Er hört nach mehr als 340 geleiteten Bundesliga-Partien zum Saisonende als aktiver Schiri auf, will aber als Videoassistent dabei bleiben.

Das letzte Wort wird weiterhin der Unparteiische auf dem Platz haben. Zum Beispiel, wenn sich auch die Videoassistenten nicht ganz sicher sind. Wenn nötig, kann er sich künftig sogar selber eine knifflige Szene direkt am Spielfeldrand auf einem Bildschirm anschauen. 93 Fehlentscheidungen gab es bis zum 30. Spieltag in dieser Saison, mit Hilfe der Video-Assistenten hätte man laut Krug 67 korrigieren können. Also eine in rund jedem dritten Spiel. Nach meinem Tag im Kölner Replay-Center ist mir klar: Im Fußball wird es auch künftig Stoff für Diskussionen geben — Videobeweis hin oder her.