Die große Prüfung für Schach-Weltmeister Anand

Noida (dpa) - In einer Eigentumswohnung im hessischen Bad Soden bereitete sich Viswanathan Anand auf die Schach-WM vor. Wochenlang tüftelte der indische Weltmeister dort an Eröffnungen.

Immer wieder analysierte er die Partien seines norwegischen Herausforderers Magnus Carlsen, dem 22 Jahre jungen Genie aus Bærum bei Oslo, das seit vier Jahren an der Spitze der Weltrangliste steht. Am Samstag beginnt in Anands Heimatstadt Chennai das große WM-Spektakel - ein Duell der Generationen, angesetzt auf zwölf Partien.

Der 43 Jahre alte Anand ist ein Volksheld in Indien, das einen wahren Schach-Boom erlebt, seit der Tiger von Madras im Jahr 2000 erstmals Champion wurde. Auch in Deutschland ist er dank seines Einsatzes für die OSG Baden-Baden bekannt - ein richtiger Superstar ist Anand aber in seiner Heimat. „Er hat uns für den Sport interessiert, inspiriert, motiviert und auch berührt“, sagt Prateek Chatterjee vom Bildungsunternehmen NIIT.

Dank der Zusammenarbeit des Großmeisters und NIIT lernen heute 1,65 Millionen junge Inder an ihren Schulen Schach. „Früher waren das nur ein paar Querköpfe an der Uni, heute ist der Sport etwas für alle Kinder“, erklärt Nandita Das Gupta, Rektorin der Global Indian International School in Noida. Auch der neunjährige Arnav Pratap Singh und der ein Jahr ältere Suryaansh Jain wären gern so berühmt wie ihr Landsmann und großes Vorbild - und wollen einmal professionelle Schachspieler werden. „Er hat uns bei seinem Besuch in zwei Minuten matt gesetzt“, sagt Singh. Und Jain fügt hinzu: „Es ist, als würde er deinen nächsten Zug immer schon kennen.“

Anand sei nicht zuletzt wegen aufsehenerregender Aktionen überall im Land bekannt, erzählt Nandita Das Gupta. Vor drei Jahren half er bei einem Weltrekord, als 20 480 Menschen gleichzeitig in Ahmedabad Schach spielten - an weißen und schwarzen Tischen, die auf einem Sportplatz zu 64 Feldern angeordnet waren.

Indien ist im Sport nicht gerade erfolgsverwöhnt. Bei den Olympischen Spielen in London etwa holte das Land der 1,2 Milliarden Menschen keine einzige Goldmedaille. Umso größer ist der Stolz der Nation, wenigstens im Denksport den Weltmeister zu stellen. „Anand hat Schach wieder nach Hause gebracht, wo es rechtmäßig hingehört“, meint Chatterjee. Einige Historiker nehmen an, dass eine Vorform des Schach im 6. Jahrhundert im Osten Indiens entstand - mit Fußvolk, Kavallerie, Elefanten und Streitwägen.

Lehrerin Guneet Kochhar geht es weniger um Geschichte - sie freut sich vielmehr, dass ihre Fünftklässler dank der Konzentration, die sie beim Schach lernen, auch sonst im Unterricht endlich mal 20 Minuten still sitzen bleiben. „Und ihr Denken ist schärfer geworden, ihre analytischen Fähigkeiten sind besser“, meint Kochhar. Sie selbst könne beim Schach schon längst nicht mehr mit den Schülern mithalten, die seit der 3. Klasse zweimal pro Woche trainieren. Und zwar Mädchen und Jungs zusammen, was in Indien keine Selbstverständlichkeit ist. „Wir beginnen alle auf dem gleichen Level“, meint die zehnjährige Shannon Noronha. Endlich könne sie sich mit den Jungen messen.

Zur Weltmeisterschaft werden die Kinder diesmal noch nicht fliegen. Aber sie geben ihrem Vishy auf der Seite „wish4vishy.com“ gute Wünsche mit auf den Weg. „Mach uns wieder stolz“, schreibt Santosh. Und Shekhar meint mit Blick auf Anands Gegner Carlsen: „Schlag den Kerl noch einmal, dann wirst du für immer der Größte sein.“

Anand selbst hält sich mit markigen Sprüchen zurück. Noch nie hat der Inder zu Hause ein WM-Duell ausgetragen, der Druck ist entsprechend groß. Der ganze Subkontinent erwartet von ihm, dass er seinen Titel zum vierten Mal verteidigt. 2008 in Bonn gegen den Russen Wladimir Kramnik hatte Anand noch überlegen gesiegt, 2010 in Sofia gegen den Bulgaren Weselin Topalow und 2012 in Moskau gegen Boris Gelfand (Israel) hatte er trotz seiner Erfahrung schon erhebliche Mühe.

Und was kommt jetzt? Anand rechnet mit einem extrem zähen und unberechenbaren Carlsen. Die beiden waren früher sogar kurzzeitig Trainingspartner und kennen sich gut. Genau deshalb legte Anand vor dem Duell extrem viel Wert auf seine Fitness. „Es wird sehr schwer“, meinte er, „aber ich bin bereit für alles.“