Die Bayern mittendrin: Cottbus und 50 verrückte Jahre
Cottbus (dpa) - Vielleicht wird an diesem Sonntag sogar beim großen FC Bayern der eine oder andere Spieler oder Ex-Star noch einmal kurz hinhören, falls er zufällig die Nachricht vom 50. Geburtstag des FC Energie aufschnappt.
Auf jeden Fall ist der deutsche Rekordmeister bei der Feier des Nur-noch-Drittligisten im Cottbuser Staatstheater eines der Themen, die von den Jubiläumsgästen um Kulttrainer Eduard Geyer garantiert hervorgeholt werden. „Cottbus kannte ja keiner. Die Stadt ist in Deutschland bekanntgeworden durch den Fußball. Da können sie heute noch stolz sein“, sagte Geyer, der mit dem Verein ein Kapitel besondere Fußball-Geschichte schrieb.
Im Jahr 2000 stieg der selbst ernannte „Fightclub“ im tiefen Osten des Fußball-Ostens unter Geyer sensationell in die 1. Liga auf - und ärgerte nicht nur Schalke, den Hamburger SV, Bayer Leverkusen und Hertha. Auch die Bayern bekamen gleich zweimal den Energie-Kampfgeist schmerzhaft zu spüren. Schon im achten Spiel in der Beletage schlug Cottbus die Münchner Startruppe um Oliver Kahn 1:0. 2008 wiederholten die Lausitzer gegen Philipp Lahm und Co. das Wunder mit einem 2:0.
„In der dritten Minute wurde ich damals über die Außenlinie getreten. Ich wollte gerade aufstehen, da war mein Gegenspieler bereits über mir und sagte: 'Du hast ja dein Röckchen gar nicht an'“, erinnerte sich Mehmet Scholl in der „Lausitzer Rundschau“ an die erste Münchner Schmach von Cottbus. Die Lausitzer Regionalzeitung hatte übrigens bei der Gründung der BSG Energie am 31. Januar 1966 eine besondere Rolle: Die Leser wählten den Vereinsnamen. Als ersten Preis strich Volksdichter Bodo Krautz für den Vorschlag Energie 200 DDR-Mark ein.
Name und Charakter des Vereins wurden bereits in der Gründerzeit von der Mentalität der Menschen in der Braunkohle- und Energie-Region geprägt. Ehrlich arbeiten, mit bescheidenen Mitteln kämpfen - das begann, als 1963 DDR-Oberliga-Absteiger Aktivist Brieske-Senftenberg nach Cottbus „delegiert“ wurde. Die Anerkennung der DDR-Sportführung als geförderter Fußballclub wurde den Lausitzern jedoch verweigert. Energie spielte als Betriebssport-Gemeinschaft weiter. In der Bilanz bis zur Wende stehen 21 Zweitliga- und sieben Erstliga-Spielzeiten.
„Im Osten geht die Sonne auf“ - das Vereinsmotto des am 1. Juli 1990 neu aufgestellten FC Energie begleitete den Club dann in den gesamtdeutschen Profifußball. Als Drittligist marschierten 1997 „Fußballgott“ Detlef Irrgang - zum 50. als bester Energie-Spieler der Geschichte geehrt - und seine Kollegen bis ins DFB-Pokalfinale.
Beim legendären 3:0 im Halbfinale gegen den Karlsruher SC musste am Nachmittag wegen eines Schneesturms das Flutlicht angeschaltet werden. Erst im Endspiel konnte der heutige Bundestrainer Joachim Löw als Stuttgarter Chefcoach mit dem VfB die Cottbuser stoppen.
Es folgten der Aufstieg in Liga zwei und sechs Jahre Erstliga-Fußball in einer Region, die nicht gerade für einen Wirtschafts-Boom bekannt war und ist. Energie fand andere (Not-)Lösungen. Geyer schickte am 6. April 2001 beim 0:0 gegen den VfL Wolfsburg erstmals in der Bundesliga-Historie eine Startelf mit elf Ausländern auf den Rasen.
Wirklich gern trat keiner der etablierten Clubs im Stadion der Freundschaft gegen Typen wie Christian Beeck, Jens Melzig oder Vasile Miriuta, der jetzt als Chefcoach in Cottbus arbeitet, an. Zu den verrückten 50 Jahren zählt auch das wohl kurioseste Kopfball-Eigentor überhaupt von Torwart Tomislav Piplica gegen Mönchengladbach.
Seit 2014 ist Energie nur noch drittklassig. Ob es nochmals eine solche Sensationszeit wie unter dem damaligen Präsidenten Dieter Krein und Manager Klaus Stabach geben kann? „Das könnte schon sein, wenn die richtig guten Leute zusammen sind. Man braucht ein bisschen Geduld - und Geld“, sagte Geyer (71). Es ist wohl mehr ein Traum.