Stille Nacht im Stadion: Weihnachtssingen als Kult
Berlin (dpa) - Vor neun Jahren kletterten Fans des 1. FC Union Berlin noch über die Zäune an der Alten Försterei, um einen Tag vor Heiligabend auf der Mittellinie ihres Lieblingsstadions „illegal“ Weihnachtslieder zu singen.
Was damals im kleinen Kreis mit 89 „Union-Verrückten“ begann, ist mittlerweile ein regelrechter Magnet. Es winkt ein Teilnehmerrekord - die Veranstalter wissen kaum noch, wie sie den erwarteten Ansturm bewältigen sollen.
„Wir rechnen mit 15 000 Sängern, damit kommen wir mit unserem Stadion an die Kapazitätsgrenzen“, bestätigte Torsten Eisenbeiser, bei dem auch im neunten Jahr der traditionellen Veranstaltung am Freitag die Fäden der Organisation zusammenlaufen. Bei Glühwein und Bratwurst werden dann die hartgesottenen Unioner in ihren Fanklamotten wieder neben Omas und Opas mit ihren Enkeln stehen und bei weihnachtlichen Klängen tausende Kerzen entzünden.
„Das ist ja das Schöne: Es kommen auch so viele Leute von überall her, die sonst nur selten oder gar nicht ins Stadion gehen. Viele bringen Freunde und Nachbarn mit, die mal sehen wollen, wo wir uns alle zwei Wochen so rumtreiben“, sagte Eisenbeiser.
Noch genau erinnert sich der Mann vom Fanclub „Alt-Unioner“ an die Premiere: „Wir haben das Stadion regelrecht geentert. Aber keiner hat damals dran gedacht, dass wir jemals solche Dimensionen erreichen.“ 2004 wurde das Weihnachtssingen beim Bezirksamt Treptow-Köpenick, dem damaligen Stadion-Eigentümer, angemeldet und rund 500 Rot-Weiße hörten die Weihnachtsgeschichte des Köpenicker Pfarrers Peter Müller, der den „Eisernen“ auch in diesem Jahr die Treue hält.
In den folgenden Jahren entwickelte sich das Singen zu einer Großveranstaltung. Die Sängerzahlen verdoppelten sich jährlich auf 1000 (2005), 2000 (2006) und 4000 (2007) und ließen die Alte Försterei in ungewöhnlichem Lichterglanz erstrahlen.
Nur 2008 blieben die Sänger vor Weihnachten der damaligen Baustelle an der Alten Försterei fern und trafen sich im Luisenhain vor dem Köpenicker Rathaus - trotzdem kamen 4000 Menschen. Im Jahr der Einweihung des von den Fans sanierten Stadions kamen sogar 8000 Neugierige, um die Songs zu schmettern. Im Vorjahr wurden zunächst 10 000 Sänger angegeben. „Doch diese Zahl mussten wir nach der Video-Analyse sogar auf 12 000 korrigieren“, berichtete Eisenbeiser.
Obwohl seine „Alt-Unioner“ jede Kommerzialisierung im Fußball ablehnen, steigen mit dem Ansturm auch die Kosten. Inzwischen wird ein fünfstelliger Etat benötigt, den der Verein aber nicht allein stemmen muss. Die Berliner Stadtreinigung ist seit einigen Jahren Sponsor und gibt auch das Liederheft heraus. „Auch Kerzen und kleine Geschenke für die Kinder können so umsonst verteilt werden“, sagte Eisenbeiser.
Erstmals werden wegen des erwarteten Ansturms alle vier Tribünen des Stadions offen stehen. Um trotzdem überall beste Sicht zu ermöglichen, ist erstmals auch eine zweite Video-Leinwand aufgebaut. „Damit man den Sängern in die strahlenden Gesichter schauen kann“, wie der Chef-Organisator betont.
Nachdem der noch bis zum 31. Dezember laufende Aktienverkauf zum Erhalt das Stadionnamens sogar international für Schlagzeilen sorgte und die Aktie selbst im „Wall Street Journal“ Beachtung fand, hat auch das Kultsingen des Köpenicker Vereins außerhalb der Ländergrenzen für Resonanz gesorgt. Besucher kamen aus Österreich, der Schweiz und im Vorfeld dieser Veranstaltung schaute erstmals sogar ein schwedischer Reporter vorbei und recherchierte eine Story.