Borussia Mönchengladbach Gladbachs kuriose Mitgliederversammlung

Mönchengladbach · Ein kleinerer finanzieller Gewinn und ein neuer Fanvertreter im Aufsichtsrat – aber das war längst nicht alles.

Die ehemalige NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft im Austausch mit Sportgeschäftsführer Roland Virkus.

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Die Versammlung

Mit Ruhm hat sich die Borussia mit dieser Mitgliederversammlung vor 2350 Mitgliedern auf der Südtribüne im Borussia Park wahrlich nicht bekleckert. Der noch neue Präsident Rainer Bonhof („Ich bin der Neue“, 72) wirkte fahrig, war irgendwo zwischen zu lässig und zu nervös falsch abgebogen. Er fiel dem ehemaligen Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners (CDU) mehrfach ins Wort bei dessen Bemühen, die Zahl der Aufsichtsrats-Bewerber, die der Ehrenrat vorher gesiebt hatte, wieder per Antrag zu erhöhen. Und: Bonhof ließ auch dann noch ständig Wortbeiträge zu, als Reiners Antrag längst elektronisch abgestimmt wurde. Bis das Ganze wiederholt werden musste. Auch die Versuche des Ehrenrates, sich klar in eigener Sache zu positionieren, wirkten bisweilen etwas zu bestimmend. Allen voran ging dabei Ex-Profi Herbert Laumen. Tatsächlich sind Mitgliederversammlungen ja ohnehin selten ein Festival der Sportdemokratie, aber im Borussia-Park ging es schon besonders zu. Und: Dass am Ende überraschend Fan-Vertreter Philip Hülsen in den Aufsichtsrat gewählt wurde, hat die Versammlung fast gesprengt und für viel Unmut zwischen Fanszene und eingespannten Mitgliedern auf der einen und angespannten Funktionären auf der anderen Seite gesorgt. Man könnte sagen: Die Versammlung bei eisiger Kälte im April hat das sportliche Bild, das die Borussia derzeit abgibt, durchaus widergespiegelt. Die ausgeschiedenen Rolf Königs (Bonhofs Vorgänger wurde zum Ehrenpräsidenten gewählt) und Hans Meyer waren nicht vor Ort.

Die sportliche Lage

Die stellte Borussias Sportgeschäftsführer Roland Virkus dar, der bei vielen Anhängern nicht unumstritten ist, aber durchaus gut vorbereitet war. Virkus nahm sich mit Redemanuskript viel Zeit, die positiven Aspekte der sportlichen Entwicklung herauszustellen. Manchmal dabei auch deutlich zu überhöhen, weil so viel dann doch nicht positiv ist. Aber eine engagierte Gegenrede provozierte seine Sicht auf die Dinge nicht, das darf der 57-Jährige als Erfolg werten. Wesentlich stärkte Virkus Trainer Gerardo Seoane und Sportdirektor Nils Schmadtke, obwohl beide bei den Anhängern derzeit im Fokus der Kritik stehen. Virkus sprach von „klarer Strategie“ und führte den Verlust von Leistungsträgern ohne Ablöse für einen notwendigen Umbruch an. Verletzungen und die Tatsache, dass man 27 Punkte nach Führungen nicht geholt habe, hätten Borussia zurückgeworfen. „53 Tore sollten eigentlich reichen, um eine stabile Saison zu spielen“, sagte Virkus und monierte fehlende Balance zwischen Offensive und Defensive. Das 60. Gegentor beim 3:4 in Hoffenheim zuletzt ist guter Beweis dafür.

Ziel sei, das Verantwortungsgefühl auf dem Platz wieder zu stärken. In Sachen Talenten sei man weiter als geplant, Virkus nannte die neuen Rollen von Rocco Reitz oder Moritz Nicolas als Beispiel. Ein neues Lizenzspieler-Gebäude soll her, Geld dafür fehle aber. „Diese Pläne werden wir erst umsetzen, sobald wir finanziell dazu in der Lage sind.“ Klar ist geworden: Borussia muss ohne Europapokal-Einnahmen weiter auch Top-Spieler vereinzelt verkaufen und damit wieder große Einnahmen erzielen, um auf dem Transfermarkt selbst sehenswert aktiv werden zu können.

Stärkster Moment

Mönchengladbach bleibt Mönchengladbach: eben auch ein Verein, der um Treue und den inneren Zirkel mit langjährigen Wegbegleitern stets bemüht ist. Im eigenen Saft schmoren – das wird hier nicht negativ bewertet. Das hat sich vor allem in dem Moment gezeigt, in dem Virkus auf Tony Jantschke (34) und Patrick Herrmann (33) einging, mit denen man sich, so der Sportvorstand, in guten Gesprächen darüber befände, nach der sportlichen Karriere jeweils eine Rolle im Verein zu übernehmen. „Doch jetzt werdet ihr noch in der Kabine gebraucht“, rief Virkus, und die Mitglieder applaudierten eifrig, standen sogar auf. Herrmann bedankte sich mit einem Wink auf die Tribüne.

Die Finanzen

Drei Geschäftsperioden in Folge hat Borussia Mönchengladbach Verluste präsentiert, das Eigenkapital schrumpfte um beträchtliche 55 Millionen Euro. „Wir haben dadurch an Substanz verloren“, sagte Geschäftsführer Stephan Schippers. Jetzt die Rückkehr in die Gewinnzone mit einem Plus von 4,2 Millionen Euro nach Steuern. Im vergangenen Jahr hatte der Verein ein Minus von mehr als 24 Millionen Euro gemacht. „Nach drei Jahren mit enormen Umsatzbrüchen, verursacht durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen, haben wir diesmal einen signifikanten Gewinn erwirtschaften können“, so Schippers. Es ist der zweitbeste Umsatz der Vereinsgeschichte, die Eigenkapitalquote von 26,2 Prozent sei die zweithöchste in der Bundesliga.

Die Personalien

Michael Hollmann, Dr. Jürgen Kämper und Stefan Krebs wurden in den Aufsichtsrat wieder- und die Herzchirurgin Dr. Dilek Gürsoy neu gewählt. Stefan Brandmann, Clemens Dreimann und Dr. Dirk W. Rosenbaum erhielten im ersten Wahlgang nicht die nötige Mehrheit – gegen die ersten beiden hatte die Fanszene bereits im Vorfeld opponiert, um stattdessen eigene Vertreter in den Aufsichtsrat zu bekommen. Die Situation drohte in Dunkelheit zu eskalieren, der Ehrenrat beriet sich und unterbrach – und schlug dann Hülsen als Fanvertreter und erneut Brax-Geschäftsführer Brandmann vor. Beide wurden dann gewählt. Im Ehrenrat „verlängern“ Andreas Heinen, Elmar Kreuels und Volker Klüttermann, die Abteilungsleiter Stefan Krebs (Handball) und Ulrich Robens (Tischtennis) sowie Thomas Ludwig, Vorsitzender des Fanprojektes Mönchengladbach Supports Club e.V. (FPMG) bleiben ohnehin dabei. Komplettiert wird der Ehrenrat von Herbert Laumen, Matthias Neumann, Gerald Ruch und Mirko Sandmöller, die sich in diesem Jahr nicht zur Wahl stellen mussten.

Echte Perlen

Die gab es in Vielzahl. Etwa als Geschäftsführer Schippers eine hybride Versammlung absagte: „Manche Sachen gehören nicht in die große weite Welt. Wir machen uns nicht stärker, wenn wir das in die Republik blasen.“ Oder die Ansage des Rechtsanwalts Andreas Heinen aus dem Ehrenrat, wenn die Aufsichtsratswahl im zweiten Anlauf nicht gelänge, müsse abgebrochen werden, das koste dann Hunderttausende. Schön auch das Video des kommenden Werbepartners Reuter, in dem sich alle Familienmitglieder munter vorstellten, Gelächter allenthalben. Und da war ja auch noch die ehemalige NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die sich so kurz vorstellte („Ich habe die Raute im Herzen. Das hier ist mein Lebenstraum“), weil die Mannschaft vor ihr auf der Tribüne „so friert“.