Das Phantom-Tor von Hoffenheim und die Folgen
Berlin (dpa) - Das Phantom-Tor von Stefan Kießling im Bundesliga-Spiel zwischen 1899 Hoffenheim und Bayer Leverkusen erhitzt die Gemüter. Hoffenheim wird gegen die Wertung Protest einlegen und fordert ein Wiederholungsspiel.
Ein weiteres starkes Argument für die Torlinientechnik?
Was ist in Hoffenheim genau vorgefallen?
In der 70. Minute köpfte Kießling den Ball ans Außennetz. Durch ein Loch im Netz gelangte der Ball aber ins Tor. Schiedsrichter Felix Brych gab den Treffer zum zwischenzeitlichen 2:0 für Bayer. Erst wenige Minuten später, als Hoffenheimer Ersatzspieler den Referee auf das Loch im Netz hingewiesen hatten, wurde Brych bewusst, dass der Ball nicht im Tor war. Brych blieb jedoch bei seiner Tatsachenentscheidung.
Gibt es ein Wiederholungsspiel?
Hoffenheim hat Einspruch gegen die Wertung des Spiels eingelegt. Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wird sich mit dem Fall beschäftigen. Eine Entscheidung steht aber unter dem Vorbehalt der Abstimmung mit dem Weltverband FIFA. Die FIFA hat unter Verweis auf die Tatsachenentscheidung bereits 1995 dafür gesorgt, dass das Zweitliga-Wiederholungsspiel zwischen dem Chemnitzer FC und dem VfB Leipzig annulliert wurde. Gewertet wurde das erste Spiel.
Können nur 22 Minuten in einem Wiederholungsspiel gespielt werden, und kann Leverkusen dann mit einem 1:0-Vorsprung starten, wie es jetzt Leverkusens Sportchef Rudi Völler vorschlägt?
In Italien und Spanien gab es solche Fälle schon, in der DFB-Satzung ist so etwas nicht vorgesehen. Völler beruft sich auf 70 reguläre Minuten im Sinsheimer Rhein-Neckar-Stadion vor dem Kießling-Tor. Am Ende gab es noch zwei Minuten Nachspielzeit.
Hätte Brych im weiteren Spielverlauf seine Entscheidung noch revidieren können?
Nein. Brych hätte seine Entscheidung laut Regelwerk nur bis zum Anstoß nach dem vermeintlichen Tor ändern können. Sobald das Spiel aber fortgesetzt wird, gilt die Tatsachenentscheidung. Das besagt die Regel Nummer fünf aus den Fußballregeln 2013/14: „Die Entscheidungen des Schiedsrichters zu spielrelevanten Tatsachen sind endgültig. Dazu gehören auch das Ergebnis des Spiels sowie die Entscheidung auf 'Tor' oder 'kein Tor'. Der Schiedsrichter darf eine Entscheidung nur ändern, wenn er feststellt, dass sie falsch war, oder falls er es für nötig hält, auch auf einen Hinweis eines Schiedsrichter-Assistenten oder des Vierten Offiziellen. Voraussetzung hierfür ist, dass er die Partie weder fortgesetzt noch abgepfiffen hat.“
Was sagen die Beteiligten?
Kießling bekräftigte, dass er die Situation nicht genau mitbekommen habe. Im ersten Moment habe er gedacht, der Ball gehe nicht rein. Nachdem er sich vom Tor abgewendet habe, „kommen alle auf mich zu, und ich sehe den Ball im Netz. Was soll ich da machen? Ich war überrascht. Das habe ich dem Schiedsrichter auch gesagt.“ Brych betonte nach dem Spiel, dass er in dieser Szene leichte Zweifel gehabt habe. „Aber die Reaktionen der Spieler waren eindeutig, es gab kein Kontra“, sagte der Referee. Er hatte zudem keine entsprechende Hinweise von seinen Assistenten bekommen.
Wen trifft die Schuld?
Die Schiedsrichter-Assistenten hatten vor dem Spiel und in der Halbzeit das Tornetz kontrolliert. Ihnen war das Loch im Netz aber nicht aufgefallen. Grundsätzlich ist aber der gastgebende Verein für die korrekte Ausstattung des Spielfeldes zuständig. Das besagt die Regel Nummer 1: „Der Platzverein ist für die richtige Zeichnung des Spielfeldes sowie den ordnungsgemäßen Aufbau der Tore, ihre zuverlässige Befestigung und ihren unbeschädigten Zustand verantwortlich.“
Wie geht es nun weiter?
Hoffenheim wird Einspruch gegen die Wertung des Spiels einlegen. Das kündigte der Sportliche Leiter Alexander Rosen bereits am Freitag an. Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wird sich mit dem Fall beschäftigen.
Gab es bereits ähnliche Fälle im deutschen Fußball?
Das berühmteste Phantom-Tor erzielte Thomas Helmer am 23. April 1994. Beim Spiel zwischen dem FC Bayern München und dem 1. FC Nürnberg (2:1) hatte Helmer den Ball mit der Hacke am Tor vorbeigelegt. Schiedsrichter Hans-Joachim Osmers entschied nach Befragen des Linienrichters Jörg Jablonski auf Tor für die Münchner. Nürnberg legt erfolgreich Einspruch ein, das Wiederholungsspiel gewannen die Bayern 5:0. Noch ähnlicher war der Fall beim Zweitliga-Spiel am 21. Oktober 1978 zwischen Borussia Neunkirchen und den Stuttgarter Kickers (4:3). Damals erkannte der Schiedsrichter auf ein Tor der Saarländer, obwohl der Ball durch ein Loch im Seitennetz in das Tor gelangt war. Nach einem Einspruch der Stuttgarter und der Verhandlung vor dem DFB-Sportgericht wurde der Fernsehbeweis zugelassen und das Spiel wiederholt. Dieses Spiel gewann Stuttgart dann 1:0.
Hätte die Torlinientechnik, die bei der WM 2014 zum Einsatz kommt, die Fehlentscheidung verhindert?
Ja. Das System von GoalControl, das bereits beim Confederations Cup im Sommer 2013 erfolgreich getestet worden war, beruht auf einer dreidimensionalen Kontrolle des Balls durch 14 Kameras, die auf beide Tore gerichtet sind. Überquert der Ball die Torlinie, geht ein Signal an den Schiedsrichter. Dieses wäre im Fall Kießling nicht erfolgt.
Wann wird die Torlinientechnik in Deutschland eingeführt?
In Deutschland wird es noch ein wenig dauern, ehe die Technik zum Einsatz kommt. Mit einer Einführung in der Bundesliga wird - wenn überhaupt - frühestens 2014/15 gerechnet. Die verantwortlichen Schiedsrichter-Funktionäre beim DFB haben sich grundsätzlich dafür ausgesprochen - wenn das System fehlerlos ist. UEFA-Präsident Michel Platini ist allerdings gegen die Torlinientechnologie und bevorzugt - wie bei Spielen auf europäischer Ebene - die Torrichter.