Ex-Schiedsrichter Kircher genießt Karriereende

Rottenburg (dpa) - Wäre Knut Kircher nicht einer der besten Schiedsrichter geworden, wäre er heute wahrscheinlich Reiter. Vielleicht würde er dann auch noch Akkordeon spielen.

Foto: dpa

Als Jugendlicher hat er beides mal gemacht, aber irgendwann wurde ihm der Fußball dann immer wichtiger und Kircher als Schiedsrichter immer besser. „Da war ich dann plötzlich in einer Spirale der Motivation drin und dachte mir: „Heidewitzka, jetzt wird's aber was!““ Und es wurde richtig was mit Knut Kircher und der Trillerpfeife.

In 15 Jahren hat er 242 Spiele in der Bundesliga gepfiffen. Nur 17 Spieler stellte er während dieser Zeit vom Platz. Keiner pfiff mehr Spiele des deutschen Rekordmeisters FC Bayern München, kaum ein Schiedsrichter war bei den Spielern beliebter als er. „Bei den einschlägigen Umfragen unter Profis landete er nur dann nicht auf Platz eins, wenn er auf Platz zwei landete“, hat die „Süddeutsche Zeitung“ vor einiger Zeit mal geschrieben.

Dennoch war für Kircher am Samstag vor drei Wochen Schluss. Mit 47 Jahren hat er die Altersgrenze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) erreicht. Der 3:1-Sieg der Bayern über Hannover 96 war sein persönlicher Abpfiff. „Last Exit Munich“ steht in schwarzer Schrift auf dem Spielball, den er als Erinnerung mit nach Hause genommen hat.

Dort sitzt er in seinem Garten in einem Dorf bei Rottenburg am Neckar. Die Sonne scheint, es ist warm und ein riesiger Sonnenschirm stellt den riesigen Schiedsrichter in den Schatten. Kircher ist fast zwei Meter groß. Er ist schlank, sieht fit aus, dazu sein typisches Grinsen und die wachen Augen.

„Ich weiß nicht, ob ich das Pfeifen vermissen werde“, sagt er. „Das werde ich wohl erst feststellen, wenn die neue Saison losgeht.“ Was logisch klingt nach so vielen Jahren in der „Spirale“. Vielen Menschen wird es nach dem Ende eines Lebensabschnitts so wie Kircher gehen. Wie sehr der gewohnte Rhythmus das eigene Leben ergriffen hat, wird man erst merken, wenn man nicht mehr in dem gewohnten Rhythmus ist.

Die neue Bundesliga-Saison startet am 26. August. Kircher wird dann ganz sicher vor dem Fernseher sitzen. Die Leidenschaft für das Spiel hat er nie verloren. Natürlich ist auch er in all den Jahren zum Teil massiv kritisiert worden. Fans haben ihn beleidigt, beschimpft, ausgepfiffen und bepöbelt. Lag er mal falsch, hat er am Tag danach auch mal besser keine Zeitung gekauft. „Das gehört halt zum Job dazu“, sagt er. Der Umgang mit den Schiedsrichtern werde sich ohnehin nicht ändern. Das sei auch nicht nach dem Suizidversuch seines Ex-Kollegen Babak Rafati Ende 2011 passiert.

„Immer dann, wenn eine Katastrophe passiert, wird aufgerufen, umzudenken. Das hält ein paar Tage an und Wochen später ist man dann wieder in den gleichen Mechanismen drin“, sagt Kircher. Er hat sich von diesen Mechanismen offenbar nie wirklich beeinflussen lassen, was erstaunlich ist. Spricht er heute über den Fußball, spricht er über schöne Erinnerungen. Über kuriose Platzgespräche mit Mario Basler, Stefan Effenberg oder Mats Hummels. Zu viel verraten will er dann aber doch nicht. „Wie heißt es so schön: Was in Las Vegas passiert, bleibt in Las Vegas“, sagt er und muss im selben Moment selbst laut darüber lachen.

Es reichen wenige Minuten mit Knut Kircher, um zumindest ansatzweise zu verstehen, warum er zu einem der beliebtesten Bundesliga-Schiedsrichter geworden ist. Er witzelt, grinst, wirkt stets aufmerksam. Gesten und Mimik brauchen keinen Übersetzer. Sie werden auch von den zahlreichen Bundesliga-Akteuren verstanden, die kaum oder gar kein Deutsch sprechen.

Er freue sich jetzt auf die anstehende Europameisterschaft in Frankreich, sagt er und deutet auf seinen Grill. „Dann werden wir hier gemütlich auf der Terrasse sitzen und auch mal ein kühles Weizen trinken.“ Dann streckt er seine langen Beine unter dem Gartentisch aus. Auch wenn er deutlich größer als die meisten ist, war er dennoch stets auf Augenhöhe.