Die Heimat der Albträume
Manchester United droht gegen den FC Bayern auf längere Zeit der internationale Abschied.
Manchester. Es war ein Tor zum Staunen. An die Strafraumgrenze segelte der Eckball von Franck Ribéry. Arjen Robbens Volley-Abnahme geriet überirdisch perfekt, der Ball zischte wie an der Schnur gezogen ins Netz. Es war das 2:3, der FC Bayern hatte zur Pause schon mit 0:3 hinten gelegen. Dabei blieb es, eine süßere Niederlage hatten die Münchner nach dem 2:1-Erfolg im Viertelfinal-Hinspiel selten erlitten.
Zum Titel reichte es nicht, weil 2010 ein Stürmer namens Diego Milito die Mannschaft von Louis van Gaal im Finale von Madrid mit Inter Mailand (0:2) abkochte. Aber jetzt, vier Jahre später, kehren die Bayern nach Old Trafford zurück. Spielen noch einmal ein Viertelfinale gegen Manchester United. Und alles ist jetzt anders als in jenen Tagen von 2010.
Bayern München bricht alle positiven Rekorde, ManU alle negativen. Die Fans der „Red Devils“ verlieren die Geduld, die doch eigentlich viel ausgeprägter ist, als sie es in Deutschland je war. Das Banner „The Chosen One“ (Der Erwählte) zu Ehren von Trainer David Moyes, der von seinem Vorgänger Sir Alex Ferguson höchstpersönlich ausgesucht worden war, musste vor einer Woche nach der 0:3-Heimniederlage im Derby gegen Manchester City aber von sieben Ordnern geschützt werden.
Vor dem 4:1-Sieg am Samstag gegen Aston Villa charterten Fans ein Flugzeug, auf dem Banner über dem Stadion war zu lesen: „Der Falsche — Moyes muss raus“. Befreiungsschlag nannten einige diesen Sieg gegen Aston Villa. Aber auf der Insel wird er ganz anders eingeordnet: Die Angst geht um, gegen die Bayern nicht weniger als demontiert zu werden.
Unter der strengen Regie der Legende Ferguson war der Club im vergangenen Jahr noch mit elf Punkten Vorsprung Meister geworden. Der nahezu gleiche Kader ist unter seinem schottischen Landsmann Moyes englisches Mittelmaß. Vielleicht wird sich Manchester, derzeit Tabellensiebter, nicht einmal für die Europa League qualifizieren. Zehn Niederlagen stehen zu Buche, so viele wie noch nie in einer Premier-League-Saison. Gegen die Lokalrivalen City und FC Liverpool gingen alle vier Derbys verloren — ebenfalls einmalig. Insgesamt setzte es bereits sechs Heimpleiten in Old Trafford — undenkbar zuvor.
„Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Ort wieder Angst verbreitet“, sagt Stürmer Wayne Rooney trotzig. Die Aussichten, dass der neue Trainer den großzügig gewährten Sechs-Jahres-Vertrag auch nur annähernd erfüllen darf, sind eher gering, die Geduld der Besitzer-Familie Glazer steht auf dem Prüfstand. Moyes wirkt bei seinen Erklärungsversuchen hilflos, fast schon resigniert. Mit Mühe überstand United das Achtelfinale der Königsklasse. Die 0:2-Niederlage bei Olympiakos Piräus wischte ein 3:0-Erfolg vom Tisch, ein guter Moment. Mehr nicht.
Die ManU-Fans sind realistisch, sie erwarten die Abschiedsvorstellung vom internationalen Geschäft — auf unbestimmte Zeit. Alle Angriffslast liegt auf Wayne Rooney, aber dem 28-Jährigen fehlt die Unterstützung. Der Niederländer Robin van Persie, dem gegen die Griechen alle drei Treffer gelangen, fällt verletzt aus. Und der im Januar vom FC Chelsea geholte Spielmacher Juan Mata fremdelt gewaltig.
Das United-Management muss sich vorwerfen lassen, den für den Sommer geplanten Umbau des Kaders aufgeschoben zu haben. Und selbst Clublegende Ferguson, der mit seinen 72 Jahren noch einen Direktorenposten bekommen hat, muss mittlerweile Schmährufe aushalten. Das „Theatre of Dreams“ ist längst in die „Heimat der Albträume“ umgetauft.