Stadtduell um Europas Krone: Atlético fordert Real
Madrid (dpa) - Madrid ist die Fußball-Hauptstadt Europas. Mit Real und Atlético zogen erstmals in der Geschichte des Europacups zwei Vereine aus derselben Stadt ins Finale um die wichtigste Clubtrophäe des Kontinents ein.
„Madrid gewinnt die Champions League“, titelte die Zeitung „El Mundo“. Atlético errang mit einem 3:1-Sieg beim FC Chelsea einen historischen Erfolg: Der Club aus den Arbeitervierteln im Süden der spanischen Hauptstadt steht erstmals seit 40 Jahren wieder im Endspiel des europäischen Elitewettbewerbs.
„Atlético spielte besser und steht verdient im Finale“, konstatierte sogar Real-Trainer Carlo Ancelotti. „Es gibt keinen Favoriten. Das Endspiel wird eine ausgewogene Partie.“ Die Real-Anhänger hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass ihnen der FC Chelsea als Gegner lieber gewesen wäre. Die „Königlichen“ wissen, dass der kleine Nachbar in Endspielen ein äußerst unangenehmer Gegner ist. Im spanischen Pokalfinale standen die Madrider Clubs sich fünfmal gegenüber, viermal setzte sich Atlético durch - zuletzt vor einem Jahr im Bernabéu-Stadion.
Im Finale am 24. Mai in Lissabon gegen den großen Lokalrivalen wollen die Rot-Weißen einen der bittersten Momente ihrer Vereinsgeschichte vergessen machen. Damals im Mai 1974 hatte Atlético in seinem bislang einzigen Finale im Landesmeister-Cup in der Verlängerung durch ein Tor des unvergessenes Luis Aragonés 1:0 gegen Bayern München geführt. Aber Georg Schwarzenbeck erzwang in den Schlusssekunden mit seinem Verzweiflungsschuss ein Wiederholungsspiel, das die Madrilenen 0:4 verloren.
Dass der Kampf um die Nachfolge des FC Bayern auf dem europäischen Fußballthron 40 Jahre später zum Lokalderby wird, davon hatte in Spanien bis vor kurzem kaum jemand zu träumen gewagt. Die Wettbüros hatten eher ein Finale zwischen den Bayern und Chelsea mit einer Neuauflage des Trainerduells zwischen Pep Guardiola und José Mourinho erwartet. Aber 24 Stunden nach Reals 4:0-Kantersieg in München wurde auch Chelsea von Außenseiter Atlético demontiert.
Auf dem Weg ins Finale schalteten die Rot-Weißen die vier früheren Europacupsieger FC Porto, AC Mailand, FC Barcelona und FC Chelsea aus. Das Team ohne Superstars verlor kein einziges Spiel. Als Vater des Erfolgs feierten die Fans Trainer Diego Simeone. „Die Elf ist sein Meisterwerk“, konstatierte das Sportblatt „As“ und übertrug Begriffe wie „Autorenfilm“ oder „Autorenküche“ auf den Fußball: „Die Atlético-Mannschaft ist ein Autorenteam.“
Nach dem Sieg in London trugen die Simeone-Schützlinge T-Shirts mit einer Aufschrift, die das Denken des „Fußballautors“ Simeone genau umschreibt: „Gehe in jedes Spiel so, als wäre es Dein letztes!“ Der Argentinier wollte in London von großen Jubelarien nichts wissen, sondern dachte schon an die nächsten Aufgaben. „Ich glaube nicht, dass dies der Höhepunkt meiner Karriere ist“, sagte er. „Uns bleibt noch viel zu tun.“ Am Sonntag will er mit Atlético bei UD Levante einen weiteren Schritt zum Gewinn der spanischen Meisterschaft tun.
Beim FC Chelsea mussten die Rot-Weißen in der 36. Minute einen Rückschlag hinnehmen. Ausgerechnet Fernando Torres, einer der erfolgreichsten Fußballer aus dem Atlético-Nachwuchs, schoss die Londoner in Führung. „El Niño“ (der Junge) wollte seinen Treffer nicht bejubeln. Mit seinen wehmütigen Blicken schien er sich beinahe bei seinem Ex-Verein dafür zu entschuldigen. Der rasche Ausgleich durch Adrián López (44.) machte den Madrilenen neuen Mut. Atlético agierte nach dem Wechsel angriffsfreudiger als die Mourinho-Schützlinge. Diego Costa (60./Foulelfmeter) und Arda Turan (72.) stellten den verdienten 3:1-Sieg sicher.
Mit dem Einzug von Real und Atlético ins Finale gelang Madrid etwas, was keine der Fußball-Hochburgen wie London, Manchester oder Mailand geschafft haben. Der historische Triumph der Madrider Fußballer entschädigte die spanische Hauptstadt auch ein wenig dafür, dass sie dreimal hintereinander mit ihren Olympia-Bewerbungen gescheitert war.