27 Kandidaten für EM-Kader - Schweinsteiger nicht sicher
Berlin (dpa) - Joachim Löw setzt klare Signale. Kein Freibrief für Kapitän Bastian Scheinsteiger, Treue zum „ewigen“ Lukas Podolski - und gleich vier junge Wilde dürfen den Konkurrenzkampf im vorläufigen EM-Kader kräftig anheizen.
„Das Kollektiv ist wichtiger als jeder einzelne Spieler“, sagte der Bundestrainer bei der Bekanntgabe seines 27-köpfigen Aufgebots in der Französischen Botschaft in Berlin. Die Maxime für das Titelunternehmen 2016 war auch als eine Warnung an die Weltmeister zu verstehen. „Wir sind selbstbewusst, aber nicht überheblich. Wir sind stark, aber nicht unbesiegbar. Wir wissen, dass wir Einiges zu tun haben, um in Frankreich auf einem Toplevel zu spielen“, erklärte Löw vor seinem fünften Turnier als Chefcoach.
Auch der nach seiner zweiten schweren Knieverletzung in der Rehabilitation kämpfende Anführer Schweinsteiger wird hart dafür arbeiten müssen, um am 31. Mai eines der 23 persönlichen Tickets für die Tour de France der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu bekommen. „Man muss sehen, ob er in der nächsten Woche ins Training einsteigen kann. Wenn es nicht reichen sollte, was ich nicht hoffe, werden wir uns entscheiden, wer Kapitän wird“, sagte Löw. Zunächst sei er froh, dass der 114-malige Nationalspieler wieder „in voller Belastung“ sei, „was das Lauftraining betrifft“.
Die Länderspiel-Neulinge Bernd Leno, Julian Brandt (beide Leverkusen), Joshua Kimmich (FC Bayern) und Julian Weigl (Dortmund) gehen für Löw mit denselben Chancen in den Ausscheidungskampf ab 24. Mai im Trainingscamp in der Schweiz wie die etablierten Kräfte. „Es gibt im Moment keine potenziellen Streichkandidaten. Ich habe keine Tendenz, wer den Weg nach Hause antreten muss“, betonte der Weltmeistercoach. Auch der Schalker Leroy Sané mit erst einem Länderspiel gehört zur jungen Fraktion, die auch schon im Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2018 in Russland ins A-Team hineinwachsen soll.
„Einige von ihnen waren schon in einem Kurzurlaub, der eine oder andere ist aus dem Bett geklingelt worden“, berichtete Löw von seinen Telefonaten am frühen Dienstag. Er überbrachte dabei gemeinsam mit seinen Assistenten freudige, aber auch traurige Botschaften. „Sie wissen, dass sie sehr viel lernen müssen, die Freude spürt man durchs Telefon“, erzählte er von den positiven Gesprächen. „Mit der Nominierung geht für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung“, erklärte etwa der 24 Jahre alte Torhüter Leno.
Gleich vier Weltmeistern von 2014 teilte Löw mit, dass sie beim EM-Turnier vom 10. Juni bis 10. Juli in Frankreich keine Rolle spielen werden. Die Dortmunder Erik Durm und Matthias Ginter, der Leverkusener Christoph Kramer sowie Hannovers Torwart Ron-Robert Zieler hatten vor zwei Jahren in Brasilien noch den Jubel über einen Titelgewinn miterleben dürfen. „Da stößt man nicht auf Unverständnis, aber auf große Enttäuschung“, sagte Löw, schloss aber an: „Es muss für sie nicht das Ende in der Nationalmannschaft sein.“
Weitere vier Akteure, die erst einmal die EM-Vorbereitung aufnehmen dürfen, muss der Bundestrainer bis Ende des Monats noch streichen. Bis dahin soll auch Schweinsteiger, einer von 14 Weltmeistern im EM-Kader, deutliche Fortschritte nachweisen. Löw nannte die Fragen, auf die er Antworten erwartet: „Hält sein Knie? Gibt es irgendwelche Nachwirkungen? Wenn er topfit ist, weiß ich um seinen Ehrgeiz. Ob er es zum ersten Spiel schafft, weiß ich nicht.“ Am 12. Juni startet Deutschland in Lille gegen die Ukraine.
Routinier Schweinsteiger könnte auch noch während seines siebten Turniers - so viele sind es auch bei Podolski - eine Rolle spielen. Bis auf Toni Kroos, der mit Real Madrid im Champions-League-Finale steht, sowie Podolski können alle Akteure pünktlich in das lange ausgetüftelte Vorbereitungsprogramm einsteigen. Für Löw ein Luxus. Der 30-jährige Podolski wird erst nach dem türkischen Pokalfinale mit Galatasaray Istanbul am 26. Mai in die Schweiz nachreisen.
Löw wischte Zweifel an der sportlichen Tauglichkeit von Podolski auf höchstem Level mit entschiedener Stimme vom Tisch. „Ich weiß, dass Lukas die Leistung noch bringen kann, die wir von ihm erwarten“, sagte er. Zudem sei der 127-malige Nationalspieler „eine große Persönlichkeit, die der Gruppe viel geben kann“, unterstrich Löw.
Ein Turnier-Comeback gibt es für Mario Gomez, der vor zwei Jahren als prominentester Spieler aussortiert worden war. Nach seiner guten Saison mit 26 Toren und dem Meistertitel mit Besiktas Istanbul in der Türkei wird der 30-Jährige seine dritte EM erleben. Dagegen sagte Löw dem Hoffenheimer Angreifer Kevin Volland ab. Der Wolfsburger Max Kruse war schon zuvor von ihm aussortiert worden. Auf den verletzten Dortmunder Ilkay Gündogan muss Löw wie schon 2014 erneut verzichten.
Für weitere mögliche Verletzungs-Rückschläge will Löw sein Team in den kommenden Wochen wappnen. „Es geht darum, eine Einheit zu bilden, ein bedingungsloses Miteinander zu finden. Dies hat uns immer stark gemacht“, sagte Löw. Das Ziel formulierte Manager Oliver Bierhoff: „Wir brauchen den vierten EM-Stern. Das wäre natürlich ein Traum.“ Allerdings warnte der Europameister von 1996, dem letzten Triumph neben 1972 und 1980, auch. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir als Weltmeister starten, aber bei Null anfangen.“