Löw und Co. haben keine schlaflosen Nächte wegen Italien

Évian-les Bains (dpa) - Schon wieder gegen den Angstgegner. Im Teamhotel in Évian-les Bains konnten Joachim Löw und seine EM-Viertelfinalisten den bärenstarken Auftritt ihres nächsten Kontrahenten live im Fernsehen begutachten.

Foto: dpa

„Ich glaube, dass die beiden bislang besten Mannschaften des Turniers jetzt gegeneinander spielen“, erklärte der Bundestrainer nach dem 2:0 der Italiener im Achtelfinale gegen Titelverteidiger Spanien. „Italien versteht schon, die Räume eng zu machen, ist zweikampfstark. Das ist schon imponierend, wie Italien spielt“, sagte der Cheftrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im DFB-Basisquartier in Évian-les Bains. Der Europameister von 1968 gehört für Löw zu den „Topfavoriten“ auf die EM-Krone.

Noch nie konnte die deutsche Nationalmannschaft bei einer EM- oder WM-Endrunde gegen die Ergebnisspezialisten aus Italien gewinnen. Und vor vier Jahren bei der EM in Polen und der Ukraine war für das DFB-Team gegen die Südeuropäer genauso im Halbfinale Endstation wie beim deutschen WM-Sommermärchen 2006. „Jetzt haben wir die Chance, das mal umzudrehen“, erklärte Löw kämpferisch. Der Bundestrainer erwartet am Samstag (21.00 Uhr) in Bordeaux „ein heiß umkämpftes, interessantes, intensives Spiel“.

Der Freiburger hatte nach dem souveränen Viertelfinaleinzug in Lille schnell auf Alltag umgeschaltet und ließ nur 16 Stunden nach dem Abpfiff wieder am Genfer See trainieren. Champions-League-Sieger Toni Kroos wollte von einer titelreifen Leistung beim lockeren 3:0 gegen einen überforderten Gegner nichts wissen. „Das ist nach einem Achtelfinale gegen die Slowakei noch nicht seriös einzuschätzen“, sagte er: „Wir haben es so gemacht, wie wir es machen mussten.“

Löws EM-Masterplan geht bisher auf. Alle Entscheidungen des Chefs sitzen. Und auch Löws Crew um eine erstklassige medizinische Abteilung bekommt alles so hin, dass immer mehr Parallelen zur WM vor zwei Jahren in Brasilien gezogen werden. Der weiter gegentorfreie Weltmeister sieht sich bereit für die erste wahre EM-Bewährungsprobe gegen einen ganz Großen: Italien. „Ja, nach diesem Spiel müssen wir selbstbewusst sein. Wir sind gut drauf, müssen das aber im nächsten Spiel umsetzen und durchziehen“, betonte Jérôme Boateng. Gerade genesen von einer Wadenblessur darf sich der 27-Jährige jetzt auch im DFB-Trikot Torschütze nennen. Allerdings muss der Abwehrchef in den kommenden Tagen erneut intensiv an der lädierten Wade behandelt werden - Ausgang offen.

Andere Protagonisten wie der wiedererstarkte Torjäger Mario Gomez wiesen als Warnung lieber auf die EURO 2012 als auf die WM 2014 hin. „Wenn du im Viertelfinale oder Halbfinale ausscheidest, bringt dir es alles nichts, gut drauf zu sein. Dann kriegst du es um die Ohren“, erklärte jener Angreifer, der nun mit fünf Toren gemeinsam mit Jürgen Klinsmann die deutsche EM-Torjägerliste anführt.

Gomez und auch Löw haben natürlich noch den Halbfinal-Schock von Warschau gegen Italien mit dem Doppeltorschützen Mario Balotelli im Kopf. Löw war zuvor schon als Trainergott und das Team als programmierter Europameister gefeiert worden. Auch deshalb hält der Bundestrainer die Spannung hoch, auch wenn er seinem Team für den Dienstag noch einmal frei gab. Die 23 Spieler sollten „die Akkus noch einmal aufladen“. In strengem Ton forderte Löw aber auch: „Wir müssen auf jeden Fall noch stärker werden, wenn wir ein entscheidendes Wort mitreden wollen. Die ersten Mannschaften, gegen die wir gespielt haben bei der EM, zählen nicht zu den Top Ten.“

Das wird sich jetzt ändern. „Nein“, sagte Löw zwar, „schlaflose Nächte habe ich nicht.“ Aber auch der 56 Jahre alte Tüftler hat eben in einem Turnier noch nicht gegen die Azzurri gewonnen. Zuletzt beim Testspiel im März gab es ein klares 4:1 in München. „Wir dürfen uns keine Unaufmerksamkeiten leisten“, sagte Löw und sprach einen Mangel an: „Man muss auch besser mit den kostbaren Chancen umgehen.“

Gegen die Slowakei musste das DFB-Team eigentlich weit mehr Tore schießen als die von Boateng, Gomez und dem plötzlich zum „Mann des Spiels“ aufgestiegenen Julian Draxler. Der mit 22 Jahren noch immer recht junge Wolfsburger war von Löw überraschend vom Ersatzspieler zurück in die erste Elf befördert worden und drehte kräftig auf. „Julian Draxler hatte das letzte Mal eine Pause bekommen, jetzt war er frisch. Das hat dem Spiel gutgetan“, unterstrich Löw. WM-Finalheld Mario Götze saß erstmals in Frankreich 90 Minuten auf der Bank.

„Ich habe gut trainiert, ich habe Gas gegeben. Aber der Bundestrainer lässt sich nicht gerne in die Karten schauen, ob man spielt oder nicht spielt“, beschrieb Draxler die Löw'sche Führungsmethode. Draxler hat sich mit seinen „Zauberfüßen“ (Gomez) im Duell mit Götze einen Vorteil erspielt. „Er hatte den Mut, in die Eins-zu-eins-Situationen zu gehen mit seinem Tempo. Das zweite Tor hat er klasse vorbereitet. Das dritte selbst gemacht“, lobte Löw.

Auf eine nun gefundene Turnier-Elf will sich der Weltmeistercoach nicht festlegen. „Ich weiß nicht, ob ich die Mannschaft habe. Es kann sein, dass ich gegen Spanien oder Italien vielleicht den einen oder anderen Wechsel vornehmen“, verkündete Löw. Götze glaubt noch an seine Chance. „Vielleicht kitzelt das noch die letzten Prozente aus mir raus. Das kann so oder so ausgehen“, sagte der 24-Jährige.