Singpflicht für DFB-Elf?

Berlin (dpa) - An der Wut über das EM-Scheitern der DFB-Auswahl hat sich nun sogar eine skurrile Debatte um eine Hymnen-Singpflicht für Nationalspieler entzündet.

Im Stile von Heldentenören wie Gianluigi Buffon sollen auch Mesut Özil und Co. künftig schon vor dem Anpfiff Leidenschaft und Nationalstolz demonstrieren, fordern vor allem konservative Politiker. Den Ton gibt wie so oft der „Kaiser“ vor. Der von ihm als Bundestrainer 1984 verordnete Zwang zum Gesang sei einst die Basis für den Titel sechs Jahre später gewesen, ließ Franz Beckenbauer wissen. „So wurden wir 1990 Weltmeister“, sagte Beckenbauer der „Bild“-Zeitung.

Eine zumindest wacklige These. Kapitän Beckenbauer, Torjäger Gerd Müller und der Rest der Elf von 1974 hatten seinerzeit vor dem WM-Endspieltriumph gegen die Niederlande ebenso wenig die Lippen bewegt wie nun Özil, Sami Khedira oder Lukas Podolski vor dem verlorenen EM-Halbfinale gegen Italien. Spaniens Fußball-Herrscher sind von Haus aus schweigsam. Ihr „Marcha Real“, der königliche Marsch, hat schlichtweg keinen Text. Und doch fegten sie Buffons Meistersinger im EM-Finale mit 4:0 vom Platz.

Trotzdem verlangt Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, dass künftig alle DFB-Kicker den Mund zur Hymne aufmachen. „Sie spielen schließlich für die deutsche Nationalmannschaft und nicht für sich selbst!“, wetterte der CDU-Politiker. Vergessen scheint die Schwärmerei für die „Internationalmannschaft“, deren Spieler wegen ihrer Herkunft nicht das deutsche Vaterland besingen. „Wer in der Nationalmannschaft spielt, muss die Nationalhymne singen, egal ob er einen Migrationshintergrund hat oder nicht“, sagte CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stieß ins gleiche Horn: „Zum Länderspiel und zur Nationalmannschaft gehört die Nationalhymne. Wer dazu keine Lust hat, sollte in seinem Verein bleiben.“ Der Grünen-Politiker Volker Beck konterte: „Wenn Bouffier und Herrmann gerne mehr deutsches Liedgut hören wollen, sollen sie abends den Musikantenstadl einschalten.“

Vergebens mühte sich der Bundesinnenminister, die seltsame Diskussion zu bremsen. „Man muss jetzt nach so einem verlorenen Halbfinale nicht alle möglichen Gründe suchen, warum wohl was nicht geklappt hat“, sagte Hans-Peter Friedrich (CSU) im Bayerischen Rundfunk.

Da hatte die schwüle Debatte um den schwarz-rot-goldenen Rasen-Patriotismus schon längst so richtig Fahrt aufgenommen. Im ZDF-Talk von Markus Lanz behauptete der frühere TV-Reporter Rolf Töpperwien, die DFB-Elf sei auch deswegen an Italien gescheitert, weil die Profis der Squadra Azzurra eben viel hingebungsvoller ihre martialische Hymne („Wir sind bereit zum Tod“) geschmettert hätten.

Schon vorher meinte Ex-Nationalspieler Felix Magath: „Wer sah, wie inbrünstig die Italiener ihre Hymne sangen, ja schrien, der konnte den Willen ahnen, mit denen sie die anstehenden 95 Minuten angehen würden.“ In Internet-Foren und Leserbriefen gifteten beleidigte Fans in die gleiche Richtung.

Spielmacher Özil hat dafür kein Verständnis. „Bei allem Respekt: Aber wir haben alles gegeben. In allen Spielen“, sagte der Mittelfeldstar von Real Madrid der „Welt am Sonntag“. Bester Beweis: Hymnen-Schweiger Sami Khedira war der stärkste deutsche EM-Spieler und wurde wie Özil ins EM-Allstarteam der UEFA berufen.