Taktikschulung für die EM-Schiris
Paris (dpa) - Die Schiedsrichter der EM in Frankreich pfeifen bisher recht souverän. Es gibt weniger Gelbe Karten und bessere Abseitsentscheidungen als beim letzte Turnier.
Pierluigi Collina, Chef der UEFA-Schiedsrichterkommission, spielt eine bestimmte Szene noch einmal ab. Auf dem Bildschirm flimmert ein Traumpass des italienischen Abwehrspielers Leonardo Bonucci. Der Ball segelt über das halbe Spielfeld, landet im gegnerischen Strafraum bei Emanuele Giaccherini, der ihn im Tor versenkt. „Das“, sagt Collina und tippt mit dem Finger mehrmals auf den Tisch, „das sollen sie wissen.“ Er spricht über die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Verteidigers Bonucci und die Schiedsrichter bei der Fußball-EM in Frankreich.
Collina und seine Kollegen haben sich vor der Europameisterschaft etwas Neues ausgedacht. Seit Beginn des Turniers bekommen die Schiedsrichter vor jedem Spiel Besuch von zwei ausgebildeten Trainern. Die bringen einen Laptop mit und zeigen ihnen eine Art PowerPoint-Präsentation. Zu sehen sind dann zum Beispiel Pässe von Bonucci. Oder andere taktische Merkmale einer Mannschaft.
„Wir können nicht akzeptieren, dass uns ein Schiedsrichter nach dem Spiel sagt: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass dieses oder jenes passiert““, sagt Collina. Vielleicht ist die Einführung der sogenannten „Match preparation“ ein Grund für die bisher so selten erwähnten Schiedsrichter dieser EM.
Es ist eine der größten Fähigkeiten eines Schiedsrichters, im Verborgenen zu bleiben. „Wenn nach dem Spiel gefragt wird, wer eigentlich Schiedsrichter war, dann hat man alles richtig gemacht“, findet der Niederländer Björn Kuipers, der schon mal ein Champions-League-Finale gepfiffen hat.
Auch der frühere Weltklasse-Schiedsrichter Collina konnte während seiner aktiven Zeit ziemlich unauffällig agieren, was erstaunlich ist für einen fast 1,90 Meter großen Mann mit Glatze. „Fliegen wie ein Schmetterling, stechen wie eine Biene“, sagt er grinsend. Das war dass Motto das kürzlich verstorbenen Boxers Muhammad Ali. Collina hatte es auf sich übertragen.
Die Schiedsrichter des Turniers in Frankreich pfeifen bisher relativ unauffällig. 3,58 Gelbe Karten waren in den 36 Spielen der Gruppenphase durchschnittlich verteilt worden, 2012 in Polen und der Ukraine waren es nach 36 Partien im Schnitt 4,04 pro Match. Auch die Abseitsentscheidungen haben sich verbessert. 93,54 Prozent der Entscheidungen nach der Gruppenphase waren korrekt, 2012 waren es 90,28 Prozent nach derselben Anzahl an Spielen.
„Sie haben einen guten Job gemacht, jedenfalls gab es bis jetzt keine größeren Probleme“, sagt der interimsmäßige UEFA-Generalsekretär Theodore Theodoridis. „Aber wir sollten uns nicht zu früh freuen. Noch sind sieben Spiele zu spielen.“
Zwölf Schiedsrichter sind noch im Turnier, sechs waren nach der Vorrunde nach Hause geschickt worden. „Vor allem aus Gründen der Erfahrung“, sagt Collina. „Für viele von ihnen war es das erste große Turnier.“
Noch dabei ist der Deutsche Felix Brych. Wegen seiner bisher guten Leistungen wird er das Viertelfinale zwischen Polen und Portugal am Donnerstag leiten. Vielleicht wird er in diesem Jahr sogar erstmals in seiner Karriere ein internationales Endspiel pfeifen. Das hängt aber nicht nur von ihm ab. Sollte die deutsche Mannschaft Italien schlagen und ins Halbfinale kommen, ist die EM für Brych beendet.