Marins Europa-Coup mit Sevilla - Nun „Ausnahmezustand“
Turin (dpa) - Die wilde andalusische Sause nach seinem persönlichen Titel-Doppelpack lässt sich Marko Marin auch von neuen Wehwehchen nicht vermiesen.
„Jetzt wird erstmal gefeiert“, kündigte der Profi des FC Sevilla mit breitem Grinsen in Turin an, ehe er sich mit den Teamkollegen um Final-Dominator Ivan Rakitic, Elfmeterkiller Beto und Landsmann Piotr Trochowski auf den Heimflug nach Südspanien machte. An der Puerta de Jerez in Sevilla hatten Fans schon die ganze Nacht gefeiert. „Da herrscht bestimmt Ausnahmezustand“, wusste Marin nach dem 4:2 (0:0)-Elfmeter-Sieg im eher spannend denn hochklassigen Endspiel der Europa League gegen Benfica Lissabon schon.
„Der FC Sevilla wird zur Legende“, meinte die spanische Tageszeitung „El Mundo“. Eine tapfere Abwehrleistung gegen meist dominierende Portugiesen und die größere Nervenstärke im dramatischen Eins-gegen-Eins-Schlussakt bescherten den Fußballern von Trainer Unai Emery den dritten Erfolg im zweitwichtigsten europäischen Club-Wettbewerb - das war bislang nur drei anderen Vereinen in Europa gelungen. „Ein herausragender Beto wird Sevillas Held im Elfmeterschießen“, schrieb das Sportblatt „Marca“ nach dessen Paraden gegen Oscar Cardozo und Rodrigo.
„Am Ende war es schon verdient“, fand Marin, die größeren Chancen aufseiten des Gegners dabei etwas außer Acht lassend. Dass er nach seiner Ein- und der verletzungsbedingten folgenden Auswechslung nur 26 Minuten auf dem Feld stand - geschenkt. „Es ist wieder der gleiche Muskel wie zuletzt schon“, sagte Marin, der mit dem Malheur bereits in der Hinrunde kurz ausfiel. „Der Doc meinte, die Verletzung ist nicht ganz so schlimm, ich sollte in zwei, drei Wochen wieder okay sein.“
Allzu schlimm dürfte die Blessur nicht sein, bei der Siegerehrung hüpfte Marin schon wieder munter durch den rot-weißen Konfettiregen - ähnlich wie 2013 bei seinem ersten Pokalgewinn mit dem FC Chelsea, von wo er vorerst bis kommenden Juni nach Sevilla verliehen wurde. „Ich weiß gar nicht, ob es das schon einmal gab, dass ein Spieler in zwei Jahren mit zwei verschiedenen Vereinen triumphiert hat“, fragte der Offensivakteur. Gab es: Radamel Falcao etwa siegte 2011 mit dem FC Porto und wiederholte den Coup 2012 mit Atlético Madrid.
Portugal gegen Spanien, das ist so etwas wie das Abo-Duell in den Finals der Europa League - wobei der europäische Clubfußball derzeit wieder fest in spanischer Hand ist. Zum Mann des Mittwochabends wurde aber der Kroate Rakitic. „Das ist unglaublich, verrückt“, stammelte der einstige Schalker und jetzige Taktgeber im Sevilla-Mittelfeld.
Für eines der emotionalsten Bilder hatte der Kapitän gesorgt, als er im Moment des entscheidenden Elfmeters von Kevin Gameiro im Mittelkreis auf die Knie sank und dort lange regungslos verharrte. „Ich habe an meine Tochter und meine Frau gedacht“, erzählte er, „sie geben mir so viel Kraft, vor allem meine Tochter.“ Nach der Siegerehrung durch UEFA-Boss Michel Platini und Spaniens Kronprinz Felipe trug der Blondschopf den Pokal von der Tribüne in die Fankurve und schmiegte den Silberpott an sich, als hätte er ein Baby im Arm.
Zuvor hatte sich 120-Minuten-Reservist Trochowski bei der Pokalübergabe ganz frech nach vorne gedrängt und als erster Spieler die Siegermedaille umgehängt bekommen. „Natürlich hätte ich gerne gespielt“, sagte der frühere Hamburger, „aber wenn man meine Leidensgeschichte kennt, dass ich vor einem Jahr noch auf Krücken lief und Riesenprobleme mit dem Knie hatte, damals mit dem Fußball hätte aufhören können, jetzt wieder beschwerdefrei spielen kann, hier dabei war, meinen Teil beigetragen habe - dann bin ich glücklich.“
Grenzenlose Tristesse herrschte dagegen bei Benfica, das seine ominöse Final-Pleitenserie wieder nicht beenden konnte. „Ein Fluch!“, klagte die Zeitung „Rekord“. 52 Jahre nach der folgenschweren Verwünschung durch den geschassten Erfolgscoach Béla Guttmann verloren die Portugiesen auch ihr achtes internationales Endspiel.
„Das bessere Team hat nicht gewonnen“, meinte Trainer Jorge Jesus, „aber was soll's: Die Verlierer werden vergessen, es sind nur die Sieger, an die man sich erinnert.“ Am Wochenende wollen die stolzen „Adler“ mit dem Pokalsieg immerhin ihren dritten Erfolg in diesem Jahr feiern und sich für den bitteren Abend von Turin entschädigen.
Für Sevilla wird das letzte Liga-Saisonspiel am Sonntag gegen Elche dagegen zum Schaulaufen ohne sportlichen Wert. „Das können wir dann etwas entspannter angehen“, kündigte Trochowski in den Katakomben des Juventus Stadiums an, ehe er breit grinsend in den Teambus stieg, in dem Marin und Co. schon die große Siegerparty gestartet hatten.