FIFA-Funktionärin Haenni: „Ganz, ganz heikel“
Frankfurt/Main (dpa) - Tatjana Haenni ist Frauenfußball-Chefin beim Weltverband FIFA. Die frühere Nationalspielerin aus der Schweiz spricht im Interview der Nachrichtenagentur dpa über Gerüchte um allzu männlich wirkende Spielerinnen, die WM im Sommer in Deutschland und die Zukunft der Bundesliga.
Frauenfußball boomt. Wie viele Mädchen und Frauen spielen inzwischen auf der Welt Fußball?
Haenni: „Die letzte offizielle Zahl, die wir vom FIFA-Big-Count, der Umfrage bei allen Mitgliedsverbänden, aus dem Jahr 2006 haben, sind 26 Millionen. Wir können in ein paar Wochen neuere Zahlen mitteilen. Wenn man den Trend anschaut, gehe ich davon aus, dass es inzwischen einige mehr sind. Die Zahlen entwickeln sich überall nur nach oben. Es sind etwa 170 Länder, die Länderspiele austragen. Das ist doch eine ordentliche Zahl bei 208 FIFA-Mitglieds-Ländern.“
Gibt es noch Länder, wo Frauenfußball verboten ist?
Haenni: „Also verboten wie damals in den 60er Jahren in Deutschland und England: nein. Aber es gibt Länder wie Saudi-Arabien, die Frauen in der Schule oder Freizeit nicht zum Sporttreiben animieren. Es gibt Länder wie in Südamerika, wo eine Machokultur noch sehr stark präsent ist. Da haben die Frauen schon noch Schwierigkeiten, dass Clubs entstehen, dass sie die Spielfelder benutzen dürfen. Das sind Altlasten, oft ein Spiegelbild der Gesellschaft und der Stellung der Frau in dieser. Aber auch da bröckelt es.“
Was kann die FIFA in Saudi-Arabien bewirken?
Haenni: „Wir können die Menschen natürlich nicht zwingen, den Frauenfußball zu entwickeln, es handelt sich um einen autonomen Fußballverband. Aber wir machen sehr viele Entwicklungsprogramme und geben den Verbänden auch Geld. Das hilft, die Infrastruktur zu verbessern. Die FIFA fragt auch ständig: Was macht ihr bei der Nachwuchsarbeit, bei den Frauen, bei den Mädchen? Dadurch kann man schon Bewegung in die Sache bringen. Die Entwicklung der Topnationen - und da ist ganz klar Deutschland dabei - hat eine Signalwirkung für andere Verbände und deren Entscheidungsträger.“
Sie sind regelmäßig in Frankfurt. Wie weit ist das WM-Organisationskomitee gut 100 Tage vor dem Eröffnungsspiel in Berlin?
Haenni: „Wir sind sehr zufrieden und haben sehr viel Vertrauen in das OK. Sie machen dort einen absolut professionellen und tollen Job. Die Tätigkeiten für die Bereiche Stadien, Hotels, Transport und so weiter sind auf sehr gutem Weg. Das Ticketing beobachten wir, ob es weiter so gut läuft. Wir möchten schon, dass die Stadien voll sind. Im Moment ist alles im grünen Bereich.“
Zuletzt gab es in den Boulevardblättern Geschichten um Gerüchte, dass Spielerinnen aus dem WM-Teilnehmer-Land Äquatorial-Guinea möglicherweise Männer sind. Wie geht die FIFA damit um?
Haenni: „Die FIFA hat das Thema schon seit längerem zur Kenntnis genommen. Die Schwierigkeit ist wirklich - das gilt auch für andere Sportarten - dass wir noch nichts juristisch und medizinisch Handfestes haben, wo man sagen kann: Das ist der Weg, wie man damit umgehen kann und soll.“
Bei der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin gab es weltweite Diskussionen um 800-Meter-Weltmeisterin Caster Semenya aus Südafrika, die möglicherweise ein Zwitter ist. Hat die FIFA daraus gelernt und kann solche Schlagzeilen während der WM verhindern?
Haenni: „So schwierig das für die Athletin selbst ist: Dieser Fall hatte das Gute, dass die Welt auf dieses Dilemma aufmerksam geworden ist. Für die FIFA war der Druck zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz so groß wie für die IAAF. Aber es ist natürlich für unsere medizinische und juristische Abteilung ein Thema. Die Spezialisten dort arbeiten an einem Verfahren, intern wird das sehr intensiv diskutiert. Es werden mit der IAAF und dem IOC zusammen Guidelines für ein allgemeingültiges Prozedere erstellt. Ich bin keine Ärztin, aber so wie man es mir erklärt hat, ist es extrem schwierig. Und ganz, ganz heikel.“
Kann dieses Verfahren bereits bei der WM angewendet werden?
Haenni: „Wir hoffen es. Es wird intensiv daran gearbeitet, und unser Ziel ist es, dass wir vor der WM sagen können: Das sind die Regeln. Aufgrund derer wird entschieden, ob jemand spielberechtigt ist oder nicht. Die Regeln müssen erstellt werden und zwar für alle Verbände, nicht nur für die FIFA. Wir hoffen alle, dass wir bis zur WM eine Lösung haben. Und wenn wir die nicht haben, ist es so schwierig, dass es bis dahin nicht zu lösen war.“