Im Reich von Königin Fußball
Kicken wird weiblicher — auf dem Rasen und auf den Rängen. Vom Verbot der 50er Jahre zur WM 2011 — eine analytische Zeitreise.
Düsseldorf. Aus dem Ruhrgebiet stammen die griffigsten Fußball-Weisheiten. Aber nicht alle stimmen. „In ein’ guten Western und beim Fußball ham’ Frauen nix zu suchen“, hieß ein goldenes Wort aus den 50er Jahren. Wir wissen, was geschehen ist: Der Western ist tot, und der Fußball Frauensache. Nie zuvor schauten so viele Frauen zu, wenn die Männer spielen, wie heute; im Stadion und vor dem Fernseher. Und noch nie spielten so viele Mädchen und Frauen Fußball wie 2011. Keine Frage, der Fußball wird weiblicher.
Bleiben wir im Ruhrgebiet und begeben uns auf eine Zeitreise in die Glückaufkampfbahn der 50er oder 60er Jahre. Das alte Schalker Stadion war eine Bastion der Männlichkeit, in der eine Frau so exotisch war wie eine Nonne in der Nachtbar. Ob es überhaupt eine Frauentoilette gab? Es war kein Zufall, dass vor vielen Jahren dieser Scherz kursierte: Das Schalker Stadion soll umbenannt werden und den Namen einer Frau tragen.
Die Fans stimmen ab, der mehrheitliche Vorschlag: „Ernst-Kuzorra-seine-Frau-ihr-Stadion“. Und heute? Schalke lässt seit ein paar Jahren die „Miss Schalke“ von den Fans wählen, zuletzt bewarben sich 240 junge Frauen. Fast jeder Schalker Fanklub hat Frauen oder Mädchen, in den Fanblöcken der Veltins-Arena zuckt selbst der coolste Fan-Macho nicht mehr zusammen, wenn neben ihm eine Königsblaue mitfiebert.
Was ist nun passiert mit dem einst klassischen Männersport? Wann und vor allem warum wandten sich immer mehr Frauen einem Spiel zu, dessen Ausübung ihnen bis 1970 verboten war? Hartmut Zastrow muss nicht lange überlegen. „Die MTVisierung des Fernsehfußballs und die Entproletarisierung des Fußballs sind die Ursachen für den steigenden Frauenanteil“, sagt der Vorstandschef des Marktforschungsinstituts „Sport & Markt“.
Mit anderen Worten: Als die privaten Fernsehsender Ende der 80er Jahre die etwas dröge, fachlich geprägte Berichterstattung durch einen trendigen Mix aus emotionaler Nähe, Szene-Klatsch und poppiger Präsentation ersetzten, begann die Eroberung der Zielgruppe „Jung und/oder weiblich“.
„Die Zukunft des Fußballs ist weiblich.“ Dieser Satz von Fifa-Präsident Sepp Blatter ist zu einem geflügelten Wort geworden. Zastrow meint dasselbe, sagt es aber anders. „Wachstum im deutschen Fußball geht fast nur noch über die Frauen, sie sind die Treiber des Fußball-Booms.“ Doch es geht nicht nur um mehr Marktanteile und neue Merchandising-Zielgruppen. Sondern um das Verständnis für eine neue Art von Fans.
Eine Männerwelt, in der Frauen immer öfter auftauchen und immer selbstverständlicher akzeptiert werden. In den 60er Jahren warf das Fachblatt „Kicker“ noch einen staunenden Reportageblick auf Margot Martini, die Geschäftsführerin von Eintracht Braunschweig und einzige Frau im Bundesliga-Geschäft jener Tage. Heute muss sich Katja Kraus, ehemaliges Vorstandsmitglied beim Hamburger SV, nur noch selten über ihre Rolle „Frau im Fußball“ äußern. Was auch für die ranghöchste Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus gilt.
Das war nicht immer so. Ein schon fast legendäres Beispiel hat in den 70er Jahren die Sportjournalistin Ulla Holthoff, Mutter des Dortmunder Profis Mats Hummels, protokolliert. Als Redakteurin der Tageszeitung „Die Welt“ rief sie Otto Rehhagel wegen eines Interviews an. „Gut, dann verbinden Sie mich mal“, sagte der Trainer. „Mit wem?“, fragte die Redakteurin.
„Mit dem zuständigen Mann“, antwortete Rehhagel. Bis Holthoff erklärte, sie wolle das Interview. Es entwickelte sich ein Disput, den die Journalistin zwar klar gewann, der Trainer jedoch durch abruptes Auflegen des Telefonhörers beendete. Und welcher Fußball-Macho würde vergessen, dass Carmen Thomas im „Aktuellen Sportstudio“ bei der Ankündigung eines Beitrags „Schalke 05“ sagte? Ein harmloser Versprecher, der lange als Beweis herhalten musste für die angebliche Unfähigkeit von Frauen, über Fußball zu berichten.
Dass sich eine Frau heutzutage nicht mehr rechtfertigen muss, wenn sie sich mit Fußball beschäftigt, mag auf den ersten Blick nur ein kleiner gesellschaftlicher Fortschritt sein. Wer zurückschaut in die 50er Jahre, sieht das vielleicht anders. „Fußball ist kein Frauensport. Wir werden uns mit dieser Angelegenheit nie ernsthaft beschäftigen“, sagte DFB-Präsident Peco Bauwens 1955; an anderer Stelle ist festgehalten, dass „der weibliche Körper weder physisch noch seelisch für den Kampfsport Fußball geeignet ist.“
Frauen war das Spielen schlicht verboten, und Vereinen, die es dennoch wagten, weiblichen Teams auch nur den Platz zur Verfügung zu stellen, wurden mit Geldstrafen belegt.
Lange her, lange vorbei. Was sich seit der Aufhebung des DFB-Verdikts im Jahr 1970 im Frauenfußball getan hat, ist eine Erfolgsgeschichte. Nicht nur, weil die deutsche Nationalmannschaft mit zwei Weltmeisterschaften und sieben Europameistertiteln ein Markenzeichen geworden ist. Sondern auch, weil aus der verschmähten Sportart eine Massenbewegung geworden ist.
Für Christian Wopp, Sportwissenschaftler der Uni Osnabrück, ist klar: „Breite und Tiefe des Wachstums zeigen, dass es sich um einen Trend handelt, der sich nicht schlagartig abbremsen wird.“ So wird das Thema zu einer Herausforderung für die Klubs, die vielerorts erkannt worden ist. Bayer Leverkusen beschäftigt sich seit Jahren mit der Zielgruppe und weiß, wie wichtig Sicherheit und Familienfreundlichkeit des Stadions sind.
„Wir nehmen die Frauen ernst, hüten uns vor zu viel Sonderbehandlung. Das wird nicht gewünscht“, sagt Sprink. Doch ein bisschen weibliche Mode darf´s schon sein: In kaum einen Fanartikel-Katalog fehlt eine Kollektion für Frauen. Und der VfL Wolfsburg ist stolz auf die einzige Stadionsprecherin (Rieke Bargmann) der Bundesliga.
Frauen und Mädchen, die kicken oder/und als Fans dabei sind, sind ein Stück Normalität des Fußballs 2011. Sie gehören dazu, auf dem Rasen und den Rängen. Und irgendwann wird man vielleicht gar nicht mehr wissen, wer im Reich von König (oder Königin) Fußball Einwanderer und Einheimischer ist.