Große Unterhaltung, große Unsicherheit

Bayer Leverkusen liefert auch gegen Stuttgart sehenswertes Fußball-Kino. Auf Dauer aber lassen sich die Ziele damit nicht erreichen.

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Michael Schade hatte am vergangenen Dienstag nach dem 4:4 von Bayer Leverkusen gegen die AS Rom in der Champions League dem Mannschaftsarzt eine spaßige Anweisung gegeben. Dr. Achim Müller habe bei derart dramatischen Spielen demnächst doch bitte mit vollem Equipment neben ihm zu sitzen. Dass der Geschäftsführer von Bayer Leverkusen nur vier Tage später im Kabinentrakt bei bester Gesundheit anzutreffen war, lässt darauf schließen, dass Müller eine beruhigende Wirkung auf Schade ausüben konnte. Denn die Werkself steigerte die Dramaturgie im Vergleich zum Dienstag noch einmal.

4:3 siegte das Team von Trainer Roger Schmidt gegen den VfB Stuttgart. Alle Treffer fielen erst in der zweiten Halbzeit, in der Leverkusen nach Toren von Harnik (50.), Didavi (54.) und Rupp (60.) sowie dem zwischenzeitlichen 1:2 durch Bellarabi (57.) wie der sichere Verlierer aussah. Doch Sebastian Boenisch (70.) und Chicharito (71.) trafen zum Ausgleich, und in der 89. Minute drehte Admir Mehmedi die irre Begegnung komplett. „Wahnsinn. In der Pause liegen wir 0:3 hinten und dann gewinnen wir doch noch. Das macht den Charakter eines Teams aus“, sagte Karim Bellarabi.

0:3? Und zur Pause? Nun, bei sich derart überschlagenden Ereignissen kann auch ein Nationalspieler schon mal den Überblick verlieren. Schließlich wurde im „wilden Westen“ der Republik in der vergangenen Woche scharf geschossen. Spektakel pur. Jeder Euro, den der Zuschauer an der Kasse der BayArena investiert hat, war gut investiertes Geld. „Meine Jungs haben zwei großartige Spiele abgeliefert. Sie haben eine fantastische Mentalität gezeigt und zwei Gegnern, die bereits auf der Siegerstraße waren, doch noch weh tun können“, schwärmte Roger Schmidt.

Alles bestens also unter dem Bayer-Kreuz? Mitnichten. Die fehlende Balance zwischen Defensive und Offensive kann Leverkusen um die erhofften Saison-Ziele in den drei Wettbewerben bringen. Acht Gegentreffer gab es an den ersten fünf Bundesliga-Spieltagen. Dann schien Schmidt durch die Besetzung der „Doppel-Sechs" mit Bender und Kramer die stabile Mitte gefunden zu haben, es folgten vier Partien mit nur einem Gegentor. Durch das verletzungsbedingte Fehlen von Kapitän Lars Bender aber brachen gegen Rom und Stuttgart sämtliche Dämme. „Lars ist ein Stabilisator, keine Frage", sagte Schmidt.

Bender fehlt an allen Ecken und Enden. Natürlich möchte Schmidt die defensive Unordnung mit Respekt vor seinem Personal nicht allein am Fehlen des Kapitäns festmachen. Dass er in einer heiklen Situation jedoch experimentiert, ist gewagt. Gegen Rom stellte Schmidt den gerade erst von einer längeren Verletzung genesenen Ömer Toprak neben Kramer. Ein Fehlgriff, alleine schon weil Toprak diese Position seit Ewigkeiten nicht mehr bekleidet hatte. Erst als Kampl auf die „Sechs“ rückte, kamen Stabilität und öffnende Pässe ins Spiel.

Folglich durfte Kampl gegen Stuttgart beginnen. Neben ihm stand anstelle des geschonten Kramer jedoch Calhanoglu. Der wiederum denkt offensiv, so dass hinter ihm immer wieder große Abstände zur Viererkette entstanden, wo wiederum Toprak die fehlende Spielpraxis erkennen ließ. Dass Schmidt vor diesem Hintergrund das eingespielte Duo Tah/Papadopoulos trennte, entpuppte sich als wenig förderlich. Anders seine Wahl, Mehmedi für Bellarabi in die Startelf zu rotieren. Wie schon gegen Rom war der Schweizer ein belebendes Element in der Offensive.

Das führte gegen mit ähnlichen Balance-Problemen kämpfende Römer und den geplagten VfB zu gefeierten Spektakeln. Doch werden strukturiertere Gegner kommen, gegen die das Ungleichgewicht zwischen Abwehr und Angriff nicht auf solch spektakuläre Art kaschiert werden kann. Leverkusen bleibt Arbeit.

Spielerbewertung Leverkusen Leno (3), Boenisch (3,5), Tah (4,5), Toprak (5), Wendell (4), Calhanoglu (3), Kampl (2), Brandt (5), Mehmedi (1,5), Chicharito (4), Kießling (4,5), Bellarabi (2,5)

Spielerbewertung Stuttgart Tyton (3), Klein (4,5), Sunjic (4,5), Baumgartl (4,5), Insua (4), Schwaab (3,5), Gruezo (4), Rupp (3), Harnik (3), Werner (3), Didavi (2), Ferati (3,5)