5 Jahre Tragödie von Port Said Ägyptens schweres Erbe: „Sie haben den Fußball getötet“

Kairo (dpa) - An dem Abend, an dem der ägyptische Fußball ins Koma fiel, ereignete sich eine mittlere Sensation im Stadion des Clubs Al-Masry. Der Verein aus der Hafenstadt Port Said besiegte Al-Ahly, den unbestrittenen Favoriten und Rekordmeister des Landes mit 3:1.

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Es hätte eine ausgelassene Partynacht am Mittelmeer werden können, ja müssen. Stattdessen haben sich die Fernsehbilder von vor fünf Jahren, diesem 1. Februar 2012, an dem 74 Menschen starben, in die Herzen und Hirne der Ägypter gebrannt. Und den Fußball am Nil für immer verändert.

Auch fünf Jahre und eine Reihe von Todesurteilen und Haftstrafen später bleiben viele Fragen des „Massakers von Port Said“ offen. Wie konnte es sein, dass die Fans vom Heimteam Al-Masry nach dem Spiel den Platz stürmen konnten? Warum griffen die Gruppen von Polizisten nicht ein, sondern blieben einfach stehen, als diese - auf den Fernsehbildern gut zu sehen - auf die Tribüne der verhassten Ahly-Fans zuwetzten?

Warum gab es Berichten zufolge nur äußerst dürftige Sicherheitskontrollen am Einlass, sodass Fans Messer mit ins Stadion bringen konnten? Wer schaltete plötzlich das Flutlicht ab? Und wer versperrte die Tore aus dem Gästeblock, an denen sich die Anhänger aus Kairo in der Panik des Augenblicks zu Tode drückten, wenn sie nicht von den rivalisierenden Fans erschlagen oder erstochen wurden?

„Ich fand Leichen auf dem Boden, und die meisten Toten waren erstickt. Die Menschen waren zusammengedrückt und starben auf diese Weise“, schilderte der Al-Ahly-Kapitän Karim Sekri die Katastrophe, nachdem er dem wütenden Mob entkommen war. Er und viele andere Spieler, Fans und Beobachter warfen den Sicherheitskräften vor, das Desaster orchestriert zu haben.

Denn die Ultras von Al-Ahly sind mehr als nur fanatische Fußballfans. Mit ihren Schmähgesängen und Prügeleien mit der Polizei machten sie sich Feinde. Doch im Januar 2011, als es im ganzen Land zu den historischen Aufständen gegen Langzeitherrscher Husni Mubarak kam, setzten sie sich an die Spitze der Straßenschlachten nahe des berühmten Kairoer Tahrir-Platzes. Sie brachen Blockaden und trieben die Rebellion voran. Ohne sie hätte der Umsturz, der mit der Flucht Mubaraks endete, womöglich einen anderen Ausgang genommen.

Ein Jahr später, so glauben die Meisten heute, war es die Rache der alten Garde in der Polizei, die 74 Menschen in den Tod trieb. Jahre später schaffte die ägyptische Justiz etwas, was den Menschen im Land nicht gelingen will: Sie schloss ab mit einer der tödlichsten Ausschreitungen in der Fußballgeschichte. Im Sommer 2015 standen elf Todesurteile gegen Ultras von Al-Masry. Viele weitere Angeklagte wurden mit Haftstrafen belegt, darunter auch einige wenige Sicherheitskräfte und Offizielle.

Doch das Gesicht des Volkssportes, der zig Millionen nicht nur in Aufregung, sondern regelmäßig in Ekstase versetzt, hat sich geändert. Die Meisterschaft wurde nach dem Aussetzen zwar längt wieder aufgenommen. Doch die Ränge bleiben leer. Die Behörden haben Zuschauer bei Ligaspielen verboten. Eine weitere tödliche Panik vor einem Stadion in Kairo Anfang 2015 scheint diese Entscheidung zu besiegeln.

Bassem Mostafa glaubt nicht, dass Fans im Stadion jemals wieder erlaubt sein werden. „Sie“, sagt der junge Mann - und meint die autoritäre Regierung des Landes - hätten doch viel zu viel Angst vor den Ultras und ihren Gesängen. Nach Jahren der Unruhen hat Ägypten einen neuen starken Mann, den ehemaligen Armeechef Abdel Fattah Al-Sisi. Er führt das Land mit sanfter Stimme und harter Hand - aber Experten zufolge immer weiter in eine Wirtschaftskrise, die die Preise und den Unmut steigen lässt.

Die islamistischen Muslimbrüder, die das Land von 2012 bis 2013 regierten, verfolgt die Regierung heute als Terroristen, egal wie moderat manche ihrer Mitglieder sind. Zuletzt wurde die ägyptische Fußballlegende Mohamed Abutrika auf die Terrorliste gesetzt. Der ehemalige Ahly-Profi soll die Bruderschaft finanziert haben, lautet der Vorwurf. Vom Volkshelden zum Staatsfeind, das ist der ägyptische Fußball nach den arabischen Aufständen.

„Sie haben den Fußball auf eine Art getötet“, sagt Mostafa, der seinen richtigen Namen aus Sorge vor Problemen mit den Behörden lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Die meisten seiner Freunde, die damals in Port Said waren, haben sich vom Fußball abgewendet, erzählt er. Auch jetzt, während des Afrika-Cups, sei die Stimmung im Land verhalten.

Das könnte sich in den nächsten Tagen aber ändern, denn das Nationalteam zog am Sonntag ins Halbfinale ein. Am Mittwoch geht es gegen Burkina Faso ums Finale. Die Fußballleidenschaft der Ägypter dürfte spätestens dann aufflammen. Genau fünf Jahre nach dem Abend, der alles veränderte.