Trennung Allardyce-Aus: Englands Fußball in der Krise
London/Bolton (dpa) - Als Jürgen Klinsmann schon wieder als neuer englischer Nationaltrainer gehandelt wurde, stand Sam Allardyce zerknirscht und mit tiefen Augenringen vor seinem von den Reportern belagerten Haus.
„Dumm“ sei es gewesen, eine „Fehleinschätzung“, für die er nun die Konsequenzen tragen müsse, sagte der 61-Jährige über die Gespräche mit vermeintlichen Geschäftsleuten, die ihn sein Amt als England-Coach gekostet hatten. Doch Allardyce inszenierte sich nach seiner Beurlaubung auch als Opfer. „Hinterlist“ habe gesiegt, befand er.
Reporter des „Daily Telegraph“ hatten Allardyce heimlich dabei gefilmt, wie er über Tricks schwadronierte, mit denen man die Transferregeln des englischen Fußballverbands aushebeln könne. Zuvor hatten sie ihm - getarnt als vermeintliche Geschäftsmänner - Hoffnungen auf einen lukrativen Beratervertrag gemacht
Noch am Tag der Veröffentlichung traf die offizielle Mitteilung über das Allardyce-Aus ein, vorausgegangen waren stundenlange Krisensitzungen des englischen Fußballverbands FA. Als Nachfolger im Gespräch ist nun unter anderem US-Nationaltrainer Klinsmann.
Ein sichtlich mitgenommener FA-Generaldirektor Martin Glenn erklärte im hauseigenen TV-Sender, man habe eine „schmerzhafte, aber richtige Entscheidung“ getroffen. Das Verhalten von Allardyce sei nicht das, „was wir von einem Nationalcoach erwarten“.
Die britischen Medien überboten sich prompt mit Spekulationen darüber, wer die Nachfolge antreten könnte. Neben Klinsmann gilt auch Arsenal-Langzeit-Trainer Arsène Wenger als heißer Kandidat. Obendrein werden Bournemouth-Coach Eddie Houwe und Crystal-Palace-Trainer Alan Pardew Chancen eingeräumt. Auch Ex-Bayern-Trainer Louis van Gaal wird genannt.
Doch zunächst einmal übernimmt U-21-Trainer Gareth Southgate den Job übergangsweise. Er soll das Nationalteam für die nächsten vier Spiele betreuen. Southgate war bereits im Juli - nach dem Abgang des erfolglosen Roy Hodgson - als dessen Nachfolger gehandelt worden, hatte Medienberichten zufolge aber abgelehnt. Er fühle sich nicht bereit für den Job, hieß es damals. Sollte er sich bewähren, käme aber wohl auch er als fester Nachfolger von Allardyce infrage.
Der geht nun in die Geschichte ein - als Englands Nationaltrainer mit der kürzesten Amtszeit. Nur 67 Tage war er Chefcoach. Aber immerhin mit einer Top-Bilanz: Er konnte alle seine Spiele gewinnen. Es war nur ein einziges. Dabei war er mit viel Enthusiasmus angetreten, hatte den Posten als „Traumjob“ bezeichnet. Er sollte den englischen Fußball nach dem schmachvollen Ausscheiden gegen Island im Achtelfinale der Europameisterschaft aus der sportlichen Krise führen. Stattdessen brachte er ihn noch tiefer in den Schlamassel.
„Ich hatte nicht gedacht, dass England noch tiefer sinken könnte, nachdem was im Sommer bei der EM passiert ist. Doch da sind wir jetzt: Die Lachnummer des Weltfußballs“, sagte Englands ehemaliger Top-Stürmer Alan Shearer der BBC.
Allardyce will nun erst einmal ins Ausland gehen, um sich zu erholen und nachzudenken. Er hinterlässt dem englischen Fußball nicht nur einen hochgradig peinlichen Moment, sondern auch eine voraussichtlich länger anhaltende Debatte über Doppelmoral und Geldgier.